Lieber Pizza essen als demonstrieren

Von Volker Elste, Raphaela Häuser

Am 13. Juni begann an der Universität Köln der Streik gegen die Einführung von Studiengebühren. Obwohl nun Gebühren ab dem ersten Semester drohen, ging die Beteiligung gegenüber den Protesten vergangener Jahre zurück. Was man hätte besser machen müssen oder können und welche Teilerfolge trotzdem erzielt wurden, darüber sprachen Volker Elste und Raphaela Häuser mit sechs StreikaktivistInnen. Sie diskutierten über Solidarität unter StudentInnen, Sinn und Unsinn der Zusammenarbeit mit anderen Statusgruppen und ihre Einflussmöglichkeiten.

Wie ist nach dem Streiksemester die Stimmung bei Euch?

Julia: Ich fand die Proteste gut, aber die letzte Senatssitzung, bei der eine Resolution gegen Studiengebühren behandelt wurde, war für mich sehr frustrierend. Die Front der ProfessorInnen gegen die Positionen der StudentInnen war schockierend.

Markus: Ich fand es gerade positiv, dass kurz vor Semesterende fast sechzig StudentInnen bei einer Senatsitzung waren - auch wenn es mehr oder weniger die StreikaktivistInnen waren.

Alex: Mit dem Streik und der Kölner Erklärung haben wir einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht. Es haben sich mehr Leute mit der Thematik auseinandergesetzt, die Streikenden haben Studiengebühren eindeutig abgelehnt. Die Basis für zukünftige Proteste ist durchaus vorhanden.

Dietmar: Es war ein ganz erfolgreiches Semester. Eine Menge Leute sind aktiv geworden und haben sich mit dem Thema Studiengebühren beschäftigt. Das kann aber nicht das Ende der Fahnenstange sein.

Evelyn: An der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät (EWF) herrschte eine Ausnahmesituation, da zum Thema Studiengebühren die Umstrukturierung unserer Fakultät hinzukam. Seit drei oder vier Semestern versuchen wir, die StudentInnen über die drohende Zerschlagung der Fakultät aufzuklären. Dies war bisher erfolglos. Durch den Streik konnten sich die Leute informieren.

Auch der Anti-Streik-Gruppe kann ich etwas Positives abgewinnen, weil sie nur durch den Freiraum des Streiks eine solche Gruppe sein konnten. Ich teile ihre Ansichten nicht, begrüße aber den entstandenen Dialog.

Gab es Erfolge, die über die Auseinandersetzung mit diesen Problemen hinausgingen?

Evelyn: Ich glaube nicht, dass wir auf die Zerschlagungspläne Einfluss nehmen konnten, da wir bei der Entscheidungsfindung von vornherein ausgeschlossen waren. Bei entsprechender Mobilisierung hätten wir eventuell vor vier Semestern etwas erreichen können. Es ist aber viel wert, die StudentInnen aus ihrem Alltagstrott herausgerissen zu haben.

Ellen: Das Fach Indologie ist durch Proteste gerettet worden. Meiner Ansicht nach waren die studentischen Proteste und das erregte Aufsehen der Universität unangenehm. In einer Sitzung der Engeren Fakultät hat sich der damalige Dekan Bernd Manuwald darüber beschwert, dass man die Inhalte einer nichtöffentlichen Sitzung schon vor der Entscheidung im Stadtanzeiger lesen konnte. Die Proteste haben somit eine gewisse Verunsicherung innerhalb der universitären Gremien hervorgerufen. Aber auch wenn ich nichts bewirken kann, finde ich das Gefühl gut, mich gewehrt zu haben.

Evelyn: Das ist wichtig. Wir haben einen großen Erfolg erzielt, als wir an der EWF das Fach Textilgestaltung vor der Streichung gerettet haben. Der Dekan musste seinen Antrag noch in der Senatssitzung zurückziehen und im Moment steht die Abschaffung des Faches nicht mehr zur Debatte.

Alex: Aber grundsätzliche Entscheidungen lassen sich so nicht beeinflussen. Kleinere Erfolge, wie die Rettung eines einzelnen Faches für einige Semester, sind machbar, indem man öffentlichen Druck erzeugt. Wir können nur zeigen, dass es Widerstand gegen Sozialabbau gibt. Man erreicht durch Öffentlichkeit Leute, die auch mit ihrer ökonomischen Situation unzufrieden sind.

Markus: Die durchaus vorhandene Außenwirkung hätte größer sein können. Ein Streik muss die grundsätzlichen Fragen der Bildungs- und Sozialpolitik in die Öffentlichkeit tragen. Dies ist uns meiner Ansicht nach nicht gelungen. Intern haben die Proteste aber uns StudentInnen gegenüber den ProfessorInnen gestärkt.

Alex: Ich fand es gut, dass wir uns auf das Rektorat eingeschossen haben. Wir konnten zeigen, dass hinter diesen Entscheidungen Personen stehen. Diesen Ansatz sollten wir beibehalten.

Julia: Angesichts des immer wiederkehrenden Arguments, dass andere für ihre Ausbildung auch bezahlen müssen, hätten wir jedoch besser differenzieren und unsere Position klar machen müssen.

Evelyn: Ich will mit Protesten mein Bild als Studentin in der Gesellschaft verändern und zeigen, dass die Solidarität mit ArbeiterInnen, Gewerkschaften und Schulen wichtig ist. Das Argument, dass wir ausschließlich gegen Studiengebühren protestieren sollten, da andernfalls immer weniger StudentInnen mitmachen würden, finde ich ein bisschen verlogen. Ich jedenfalls bin nicht damit zufrieden, dass nur ich nicht bezahlen muss.

Alex: Man ist der Vorstellung verhaftet geblieben, StudentInnen seien eine Elite. Sie sind aber in ihrer ökonomischen Situation teilproletarisiert und leben auf dem finanziellen Niveau von SozialhilfeempfängerInnen. Viele sind jedoch der Meinung, sie seien Teil der Elite und verstellen sich den Argumenten, die für eine Solidarisierung mit ArbeiterInnen sprechen.

Evelyn: Wir sind vor allem keine Elite, weil wir keine elitäre Ausbildung bekommen. Alles hier ist verschult und über bestimmte Denkstrukturen hinaus gibt es nichts.

Markus: Ich finde, diese Argumentation greift nur zum Teil. StudentInnen gehören zu einer sozialen Elite, da bereits der Zugang zur Universität nicht allen offen steht.

Alex: Wenn man uns als SchmarotzerInnen bezeichnet, müssen wir selbstbewusst darauf hinweisen, dass auch wir mit Billigjobs ausgebeutet werden. Im Gegensatz zu einem Jugendlichen aus Chorweiler, der in die Hauptschule geht, sind wir StudentInnen sozial privilegiert. Wir begreifen uns aber nicht im Gegensatz zu diesem Jugendlichen. Wir nehmen ihm nichts weg. Das System nimmt uns beiden etwas weg.

Wie war die Reaktion an der Universität selbst? Erstmals gab es eine organisierte Gegenbewegung zum Streik.

Julia: Aufgefallen ist mir, dass viele Leute mit ihrem Studium fertig werden wollen und sich deshalb nicht am Streik beteiligt haben. Meiner Ansicht nach ist dies eine falsche Herangehensweise.

Markus: Ein Streik wird so solidarisch wahrgenommen, wie er betrieben wird. Durch den Streik wurde das Solidaritätsgefühl wieder aufgefrischt. Ich finde es zum Beispiel solidarisch, dass man, auch wenn man selbst nicht betroffen ist, die Bedeutung so genannter Langzeitgebühren für die Betroffenen versteht. Man muss wie selbstverständlich mit dem Argument an die Öffentlichkeit gehen, dass man zwar Teil einer sozialen Elite ist, aber nicht in diesem Zustand verharren will. Entscheidend ist, dass man für Schwächere kämpft.

Alex: Vielleicht ist die Gegenbewegung im Streik Ausdruck der Klassenuniversität, an der manche Geld von den Eltern bekommen und andere ihr Studium selbst finanzieren.

Evelyn: Bereits das Schulsystem ist entscheidend. Die Kinder werden in Kontingentklassen - Hauptschule, Realschule, Gymnasium - aufgeteilt. Dies geschieht unter dem Etikett »Intelligenz«, es steht jedoch eindeutig der Faktor »soziale Schicht« dahinter. Bereits in diesem Alter wird klar, dass man als HauptschülerIn vieles nicht machen kann. Auch das Gymnasium ist so hierarchisch strukturiert, dass kaum Gruppenzusammenhalte entstehen. Mit dieser EinzelkämpferInnenmentalität kommen die Leute dann an die Hochschule.

Die Opposition gegen den Streik hat euch Kompromisslosigkeit vorgeworfen und unter anderem auch eine Zusammenarbeit mit dem Rektor gefordert.

Alex: Mein kleinster Kompromiss ist die Verhinderung von Studiengebühren jeglicher Art. Mit jeder anderen Position stellt sich der Rektor gegen mich.

Markus: Wer jetzt auf Kompromisse setzt, zeigt sich gegenüber den 15000 StudentInnen ignorant, die schon von der Universität Köln geflogen sind. Und ignorant gegenüber denen, die für die 650 Euro Strafgebühren viel arbeiten müssen. Kompromisse schließt man unter gleichberechtigten PartnerInnen. Wir sind aber nie in einer Verhandlungsposition gewesen.

Evelyn: Mit dem Rektor einen Konsens zu finden, funktioniert nur, wenn man sich seinem Kompromiss anschließt.

Macht die Zusammenarbeit mit anderen Statusgruppen überhaupt Sinn?

Alex: Wenn das Rektorat und die ProfessorInnen uns unterstützen, befürworte ich das. Die Zusammenarbeit in den Gremien lehne ich jedoch grundsätzlich ab. An den Hochschulen ist keine wirkliche Partizipation über Repräsentanz gegeben. Daher sehe ich auch keine Möglichkeit, mit dem Rektor als oberstem Diktator dieser Feudalordnung eine Position zu entwickeln.

Markus: Ein Rektor wie Axel Freimuth, der meist nur rhetorische Nuancen von der Meinung der Landesregierung entfernt ist, geht mit uns keine Kompromisse ein. Ansonsten gilt für die Zusammenarbeit mit den anderen Gruppen das Solidaritätsprinzip.

Evelyn: Das Problem ist, dass man in den Gremien nicht auf einer Ebene mit den ProfessorInnen ist. Es wird gar nicht darüber diskutiert, dass nur zwei studentische VertreterInnen im Senat sitzen.

Ellen: Im Endeffekt ist der Rektor ein Dienstleister und darf kein Diktator sein. Die ProfessorInnen werden dafür bezahlt, uns etwas beizubringen. Ich muss mich nicht kleiner machen.

Markus: In Bezug auf das »kleiner machen« stimme ich dir zu. Nicht jedoch, weil jemand DienstleisterIn ist, sondern weil ich eine gleiche Zusammenarbeit zwischen Lehrenden und Lernenden im gemeinsamen Projekt Hochschule haben will. Autoritäten sind nicht naturgegeben und man kann und muss sie aufbrechen. Die Streikposten haben das gelernt, wenn sie von ProfessorInnen angeschrieen wurden.

Dietmar: Es ist falsch, wenn ich mir als Student Bildung erkaufe und ProfessorInnen mich als Bittsteller sehen. Ein Zeichen der Solidarität zwischen Statusgruppen war für mich das Unterstützungsschreiben von DozentInnen der Philosophischen Fakultät.

Alex: In Bezug auf den Dienstleistungsprozess ist problematisch, dass StudentInnen als KonsumentInnen nicht kreativ an diesem Prozess teilnehmen.

Ellen: Glaubst du nicht, dass du als Konsument Einfluss hast?

Alex: Nein.

Hat der Streik zur Politisierung der StudentInnen geführt?

Julia: Ich wollte mich schon lange engagieren. Es war durch den Streik leichter, sich in diese Strukturen einzuarbeiten. Das heißt allerdings nicht, dass eine generelle Politisierung stattgefunden hat.

Ellen: Ich wollte die Fachschaft Indologie schon vor der drohenden Streichung wieder aufleben lassen. Ich habe schließlich trotz der bedrohlichen Situation erkennen müssen, dass die Mehrheit der IndologInnen nach wie vor unpolitisch ist.

Evelyn: Es gibt aber viele politisierte StudentInnen, die einfach keine Zeit haben, da sie für die Finanzierung ihres Studiums arbeiten müssen. Diese Leute sind politisiert und sie sind da, wenn man sie braucht. Aber natürlich gibt es auch eine große Masse an Leuten, die überhaupt nicht politisiert ist.

Ellen: Bei der ersten Demonstration gegen die Streichung der Indologie waren mehr StudentInnen am Pizzastand als auf der Kundgebung. Und bei der entscheidenden Kommissionssitzung waren von rund einhundert IndologInnen nur zirka zehn anwesend. Der Rest war unheimlich betroffen und vor allem mit dem Studium beschäftigt. Ich selber habe letztes Jahr viel Zeit verloren. Trotzdem habe ich sie mir genommen.

Markus: Die enormen Chancen, die der Streik geboten hat, haben zu wenig Leute genutzt. Politische Arbeit lohnt sich, auch wenn nur wenige Menschen diese Chance ergreifen. Dass Erfolge bei Protesten gegen die Hochschulpolitik immer mittelfristig sind - die heutigen StudentInnen zahlen unter anderem bis zum neunten Semester keine Gebühren, weil sich andere StudentInnen 1993 und 1997 engagiert haben - wird nicht honoriert. Eine gestärkte Stellung der StudentInnen in der Hochschule klingt vielleicht unspektakulär, ist aber ein kleiner, schöner Fortschritt.