Ehefrauen in der SS-Sippengemeinschaft: Schüsse vom Balkon

Von Raphaela Häuser

Elisabeth Willhaus, Ehefrau des SS-Obersturmführers Gustav Willhaus, die schon mal vom Balkon aus auf Häftlinge des angrenzenden Arbeitslagers schoss, ist ein Beispiel dafür, dass die Ehefrauen in der SS-Sippengemeinschaft sich nicht nur auf die ihnen zugedachte Geschlechterrolle der Hüterin von Heim, Herd und Kindern beschränkten. Am Einsatzort ihrer Männer wurden sie - zur moralischen Unterstützung mitgeschickt - vielfach zu (Mit)täterinnen, wie Gudrun Schwarz anhand ausgewählter SS-Familien in ihrem Buch Die Frau an seiner Seite. Ehefrauen in der SS-Sippengemeinschaft aufzeigt.

Durch ein scheinbar normales Familienleben in der KZ-Siedlung mit Frauen und Kindern - so wollte es Heinrich Himmler, Reichsführer der SS - sollte den SS-Funktionären ein normaler Arbeitsalltag suggeriert werden, um die Skrupel vor Gewalttaten zu minimieren. Aber auch die Fortpflanzung der »rassischen Oberschicht des germanischen Volkes« sollte nicht zu kurz kommen, was die Anwesenheit der SS-Ehefrauen am Arbeitsort der Männer mit bedingte. Die Ideologie der SS-Sippengemeinschaft vom Heiratsbefehl und dem Abstammungsnachweis über fünf Generationen bis zur Etablierung der Zweit-Ehe (zur größtmöglichen Vermehrung des »germanischen Erbgutes«) wird daher in einem Einleitungsteil ausführlich erläutert.

Den Hauptteil ihrer Arbeit widmet Gudrun Schwarz jedoch der Frage, inwieweit die Ehefrauen der SS-Leute von der Tätigkeit ihrer Männer wussten und sogar selber aktiv wurden. Schwarz kommt zu einem anderen Schluss als die deutsche Justiz nach 1945: Gestützt auf Zeugenaussagen, Archivmaterial und Veröffentlichungen von SS-Angehörigen nach 1945 zeigt sie auf, dass die Ehefrauen der SS-Männer in der Mehrzahl der Fälle nicht nur Mitwisserinnen sondern auch Mittäterinnen waren. Leider wird die Differenzierung zwischen passiver Täterinnenschaft - durch die moralische Unterstützung ihrer Ehemänner - und aktiver Täterinnenschaft nicht immer deutlich.

Auch der Ausblick auf die Nachkriegszeit, in der die SS-Gemeinschaft erst untertauchte, sich aber bald wieder organisierte und nur zu Teilen bestraft wurde, ist mehr als aufschlussreich. So trägt Schwarz einige Daten über Fluchthilfe und SS-Hilfsgesellschaften zusammen und beleuchtet den Umgang der Nachkriegsregierung mit Kriegsverbrechern: Neben einer Delegation des Deutschen Bundestages, die sich für die Begnadigung von Kriegsverbrechern einsetzte, findet auch Bundeskanzler Konrad Adenauer (von ZDF-ZuschauerInnen vor kurzem zum »besten Deutschen« gekürt) Erwähnung, der 1949 in seiner Regierungserklärung forderte, die Menschen nicht mehr in »politisch Einwandfreie« und »Nichteinwandfreie« zu unterscheiden. »Der Krieg und auch die Wirren der Nachkriegszeit haben eine so harte Prüfung für viele gebracht und solche Versuchungen, daß man für manche Verfehlungen und Vergehen Verständnis aufbringen muß«, so Adenauer.

Mit Eine Frau an seiner Seite legt Schwarz einen weiteren Beitrag zur seit den Siebzigerjahren geführten Debatte um die Rolle der Frauen im nationalsozialistischen System vor, der wieder einmal zeigt, dass die verbreitete Auffassung von der SS als reinem Männerbund und der Passivität der Frauen nicht haltbar ist. Die Kombination aus Erläuterungen zu Organisation und Ideologie der SS-Sippengemeinschaft und der Untersuchung von Einzelbiografien bietet eine gute Einführung in die Thematik.

Gudrun Schwarz: Eine Frau an seiner Seite: Ehefrauen in der SS-Sippengemeinschaft, Hamburger Edition, Hamburg 1997, 30 Euro.