Der letzte Zug

Ein lateinamerikanischer Film über Würde, Globalisierung und die Wichtigkeit einer alten Dampflokomotive. Von Andreas Bodden

Mit Der letzte Zug kommt Ende Januar ein Film aus Lateinamerika in die deutschen Kinos, der sich ironisch und hintersinnig mit der Globalisierung auseinander setzt. Denn der letzte Zug ist in Wirklichkeit nur eine Lokomotive, die letzte Dampflokomotive der uruguayischen Eisenbahn. Ihr geplanter Verkauf an eine US-amerikanische Filmproduktionsgesellschaft ruft drei Veteranen der Gesellschaft der Eisenbahnfreunde auf den Plan: Professor, Pepe und Dante. In einer spektakulären Aktion entführen sie die Lokomotive und dampfen mit ihr über eine stillgelegte Strecke Richtung Brasilien, um so das »nationale Erbe« vor dem Verkauf in die USA zu schützen. Zusammen mit den drei schon recht betagten Herrn ist der kleine Guito unterwegs, der als Einziger weiß, wie man einen Akku in ein Handy einsetzt.

Den vieren sind der Jungunternehmer Jimmy und die Polizei auf den Fersen. Jimmy hat den Deal mit den AmerikanerInnen eingefädelt, er will aber - aus Imagegründen - eine gewaltsame Beendigung der »Entführung« verhindern und veranlasst die Polizei zu behutsamem Vorgehen. Die PolizistInnen verdienen derweil an der Entführung mit, indem sie die eigentlich gesperrten Filmaufnahmen von der Abfahrt der Lokomotive ans Fernsehen verkaufen. So wird das Ganze zum Medienereignis. Jede Menge JournalistInnen schließen sich Jimmy und der Polizei an. Entlang der Strecke kommt es zu Sympathiebekundungen der Bevölkerung.

Die Reise der vier kann mit der Reise des wackeren Ritters Don Quijote verglichen werden, der auszog, um die Ideale der fahrenden Ritter wiederherzustellen. Und das in einer Welt, die diese Ideale längst vergessen hatte. Vor allem, weil diese idealisierten fahrenden Ritter nie existiert hatten. Durch seine Narrheit hält er seinen Mitmenschen einen oft entlarvenden Spiegel vor.

Die Rolle des Don Quijote passt am ehesten auf den idealistischen Professor, während der bodenständige Arbeiter Pepe eine Art Sancho Pansa verkörpert, der immer wieder versucht, seinen Reisegefährten in die Realität zurückzuholen. Die beiden anderen müssen bereits vor Ende der Reise ausscheiden: Guito ist zu jung, Dante leidet unter Alzheimer und weiß schließlich nicht mehr, wer er ist.

So setzen also Professor und Pepe als fahrender Ritter und Knappe des 21. Jahrhunderts ihre Reise zu zweit fort. Dabei hält Professor Reden über nationale Würde und Souveränität, die vielleicht im 19. Jahrhundert zeitgemäß gewesen wären. Ebenso wie Don Quijote ist er ein Narr, der in einem idealisierten Gestern lebt, aber durch seine Narrheit, die seiner Mitmenschen und der Welt, in der wir leben, entlarvt und so die Perspektive auf ein Morgen eröffnet, das die gegenwärtigen Narrheiten überwindet - und vielleicht neue, bisher unbekannte, produziert. Die Alten auf der alten Dampflokomotive sind ebenso wie Don Quijote auf dem Klepper Rosinante und Sancho Pansa auf dem Esel zugleich von gestern und von morgen. Sie versuchen auf scheinbar närrische Art, ihre Würde im globalisierten kapitalistischen Wahnsinn zu bewahren.

Der letzte Zug (El último tren). Uruguay, Argentinien, Spanien 2002. Buch und Regie: Diego Arsuaga. DarstellerInnen: Héctor Alterio, Federico Luppi, Pepe Soriano, Gastón Pauls, Balaram Dinard. Kinostart: 22. Januar 2004.