Die Madonna Indonesiens

Die junge Sängerin Inul Daratista spaltet Indonesien. Islamische Konservative verurteilen ihre erotischen Tanzkünste und verbieten ihre Musik. Trotzdem ist Inul momentan der Megastar Indonesiens. Von Vanessa von Gliszczynski

Anfang 2003 sang und tanzte sich eine junge Frau an die Spitze der indonesischen Musikszene: Inul Daratista. Mittlerweile ist die 24-Jährige der Star Indonesiens und spaltet mit ihrer Musik und vor allem ihrem Tanz die Nation. Konservative muslimische Gruppen wie die Ulema (MUI), eines der führenden islamischen Gremien, bezeichnen Inuls Tanz als pornographisch und vulgär und haben ihre Musik zum haram, zur verbotenen Musik, erklärt. Ihre Entscheidung begründet die Ulema mit dem Argument, dass Inul die niederen Instinkte der Männer ansprechen würde. Viele Frauengruppen, junge Männer und Mädchen, aber auch RentnerInnen dagegen bewundern Inul. Ihre Fans stammen aus allen Bevölkerungsgruppen: Ober- und Unterschicht, alt und jung, aus der Stadt oder vom Land. Alle kennen Inul und aller haben eine Meinung zu ihr.

Inuls Musik ist dangdut, die populärste Form indonesischer Unterhaltungsmusik. Üblicherweise werden darin Elemente arabischer, malaysischer und indonesischer Musik kombiniert und mit Texten über Liebe, Leid und Alltägliches unterlegt. Kurz: dangdut ist indonesischer Schlager. Eigentlich war dangdut die Musik der Landbevölkerung und der Armen. Sie wurde in leicht heruntergekommenen Bars gespielt und SängerInnen waren meist auch TänzerInnen - genau wie Inul.

Aber was ist das Neue an Inul Daratistas Musik? Was führt zu so heftigen Gegenreaktionen der islamischen Konservativen? Zum einen sind es neue Elemente in der Musik, die Inul in ihre Form des dangdut integriert. Dazu gehören Hip-Hop und Rock. Aber vor allem sind es ihr Tanz - der goyang ngebor, das heißt soviel wie »die bohrende Bewegung« - und ihre gewagten Kostüme. Inuls Tanz besteht aus einer immer schnelleren Bewegung ihrer Hüften. Sie selbst beschreibt ihn folgendermaßen: »Ich tanze, indem ich meine Hüften im Kreis bewege, erst langsam und dann immer schneller. Es ist nicht erotisch, eher energetisch und vermischt mit Elementen des traditionellen indonesischen Tanzes.«

Die islamischen Konservativen gerieten erstmals in Aufruhr, als der Ulema ein Video von einem Auftritt Inuls in einem populären Club Jakartas unterkam. Das Video zeigt, wie die Sängerin spärlich und erotisch bekleidet vor einer begeisterten Menge indonesischer Männer tanzt. Damit begann der Siegeszug Inul Daratistas, aber auch die Kritik und Hetze der muslimischen Konservativen. Unter anderem hieß es, ihr Tanz wäre zu vulgär und hätte Vergewaltiger zu ihren Taten stimuliert. Dazu hatten die hohen muslimischen Kleriker sogar Gerichtsaussagen von Sexualverbrechern als Beweis herangezogen. Die Ulema und andere hohe muslimische Gremien haben in Indonesien, das sich zu neunzig Prozent zum Islam bekennt, einen großen Einfluss.

Die MUI war der Meinung, sie würde mit ihrer Kritik für den Großteil der Bevölkerung sprechen. Dass dies falsch ist, zeigte sich nach einem erneuten Auftritt Inuls in der Ed Sullivan Show. Als sie anfing, ihre Hüften kreisen zu lassen, wurde sie aus dem Bild geschnitten. Während die islamischen Führer diesen Schritt begrüßten, konnten die meisten Teile der Bevölkerung nur den Kopf schütteln.

Aber Kreise der indonesischen Prominenz richteten sich gegen Inul. So stellte sich der dangdut-Musiker Rhoma Irama, der seit zwanzig Jahren der Superstar des indonesischen Schlager ist, auf die Seite der Kleriker und rief zum Boykott auf. Seine Motive sind aber fraglich: Schließlich ist Inul eine direkte Konkurrentin. Die Kritik ging sogar so weit, dass ihr in einigen Regionen Indonesiens Auftrittsverbote erteilt wurde. Wegen Protesten aus der Bevölkerung mussten diese jedoch wieder aufgehoben werden.

Zum Teil unterstützt die indonesische Prominenz Inul und ihre Musik aber auch. So umarmte der Mann der indonesischen Präsidentin Megawati Sukarnoputri Inul nach einem ihrer Auftritte vor den Fernsehkameras. Der ehemalige Präsident Abdurrahman Wahid, der gleichzeitig auch einer der muslimischen Führer ist, stellte sich ebenfalls auf ihre Seite. Nach einem Abendessen mit der Musikerin verteidigte er ihren Tanz: »Hier geht es um die Ausdrucksfreiheit. Es gibt keine Gründe ihre künstlerische Freiheit zu begrenzen, denn sie hat kein Gesetz gebrochen.« Allerdings ist Wahid blind und konnte Inul deshalb nicht tanzen sehen. Viele PolitikerInnen bemühen sich um die Unterstützung Inuls für ihre Partei bei den Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr und stellen sich deshalb auf ihre Seite.

Der Konflikt um Inul ist insofern aberwitzig, da die junge Frau eigentlich den wahren dangdut vorführt. Schließlich gehörten zu der ursprünglichen ländlichen und leicht verruchten Version des dangdut immer erotische Tänze, wie zum Beispiel der Bauchtanz. Ab den Siebzigerjahren wurde dangdut für die breite Öffentlichkeit der Städte populär, aber dabei wurden erotische Elemente weitgehend aus dem Tanz entfernt. Tänze wie der goyang ngebor wären damals unter der Herrschaft Präsident Suhartos, der sehr konservativ war, sowieso undenkbar gewesen. Inuls Form des dangdut ist also eine Renaissance der ursprünglichen Musik.

Inul selber kommt vom Land und ist mit dangdut aufgewachsen. Sie begann ihre Karriere mit zwölf Jahren als Rockmusikerin und begann spielte erst später dangdut. Jahrelang zog sie durch verfallene Clubs und sang und tanzte für einen Hungerlohn. Den Wirrwarr um ihre Person und ihren Tanz kann sie, die sich selbst zum Islam bekennt, nicht verstehen. Sie wäre zwar bereit, ihre hautengen Kostüme gegen konventionellere Kleidung zu tauschen, aber ihren eigenwilligen Tanzstil will sie nicht aufgeben. Sie möchte trotz der Kritik ihren Stil beibehalten: »Ich will nicht, dass die Leute mit vorschreiben, was ich tun soll. Sie können Vorschläge machen, aber mich nicht davon abhalten, so zu tanzen und zu singen, wie ich will. Ich bin Muslim, aber auch Künstlerin. Ich will Religion und Kunst nicht vermischen.«

Der Konflikt um Inul ist Kennzeichen eines Wandels in der indonesischen Gesellschaft. Die Bevölkerung wird immer liberaler. Sie spricht sich für freie Meinungsäußerung und künstlerische Freiheit aus. Bis zum Sturz Präsident Suhartos war das Land eher in einem islamischen Konservatismus verfangen. Die islamischen Führer der Ulema und andere Kleriker dagegen reagieren auf diese neue Liberalität mit einem strikteren Konservatismus. Inul ist dabei ein leicht anzugreifendes Ziel. Erotik und Sexualität findet man mittlerweile in den Großstädten Indonesiens überall. Inul ist nur die öffentliche Form dieser neuen Erotik. Gleichzeitig stellt sie aber auch ein neues Frauenbild dar: eine energische, selbstbewusste und selbstständige Frau. Dafür wird sie von indonesischen Frauenbewegungen bejubelt. Der Konflikt um Inul Daratista ist dem Generationenkonflikt der Sechzigerjahre in der westlichen Welt nicht unähnlich. Auch damals wurden Bands wie die Beatles, die Rolling Stones oder Janis Joplin wegen ihrer Musik angegriffen. Es hieß, diese würde die Sitten verderben. Wenn die Ulema Inuls Musik als Angriff auf die Moral bezeichnet, lassen sich also deutliche Parallelen finden. Das erstaunliche an Inuls Ruhm ist aber, dass sie noch keine CD herausgebracht hat. Ihre Popularität hat sie nur durch Raubkopien von mitgefilmten Auftritten erlangt.