Wahlbündnis gegen New Labour

In England ist die Protestbewegung auf der Suche nach einer politischen Alternative zu Blairs New Labour. Nun hat sich ein sozialistisches Bündnis formiert, um der Labour-Partei bei Wahlen Konkurrenz zu machen. Von Gerhard Klas

Es gibt wohl kaum ein Land in Europa, in dem die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Widersprüche derart zugespitzt sind wie im neoliberalen Vorzeigeland Großbritannien. Während die Wahlbeteiligung kontinuierlich abnimmt, weil die Wahl zwischen den konservativen Tories oder Tony Blairs New Labour wie eine zwischen Pest und Cholera erscheint, artikuliert sich lautstarker Protest auf der Straße und in den Betrieben. Die Labour-Partei, einst aus der Gewerkschaftsbewegung entstanden, verliert deren Unterstützung. Immer mehr GewerkschaftssekretärInnen opponieren offen gegen New Labour und kündigen Blair und den Seinen ihre Gefolgschaft auf. SchriftstellerInnen und FilmregisseurInnen machen Politik und schließen sich der radikalen Opposition an. Die Antikriegsdemonstrationen, auch die letzte beim Besuch des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush im November, sprengen selbst die Dimensionen der britischen 68er-Bewegung.

Nicht nur die Proteste sind dieses Jahr immer lauter geworden, sondern auch der Ruf nach einer politischen Alternative. Der Ausschluss des populären Kriegsgegners und Parlamentsabgeordneten George Galloway aus der Labour-Partei Ende Oktober gab die Initialzündung, um ein Wahlbündnis gegen New Labour zu schmieden. Galloway, seit 36 Jahren Parteimitglied, hatte britische SoldatInnen zur Befehlsverweigerung aufgerufen. Er appellierte an die WählerInnen in Plymouth, denjenigen Labour-KandidatInnen keine Stimme zu geben, die den Krieg unterstützt hatten. Er gratulierte dem Kandidaten einer Anti-Kriegsliste in Preston, der den Konkurrenten der Labour-Partei bei der vergangenen Kommunalwahl schlug, und drohte bereits an, selbst gegen Labour zu kandidieren, wenn die Partei nicht von ihrem Kriegskurs abweichen würde.

ParteigenossInnen und Konservative quittierten seine Haltung mit erbitterter Feindseligkeit. Sie beschuldigten ihn, mit Saddam Hussein gemeinsame Sache zu machen und sogar Geld von der irakischen Regierung angenommen zu haben. Doch die daraufhin eingerichtete parlamentarische Untersuchungskommission hat vor wenigen Wochen ihre Arbeit mit der offiziellen Begründung eingestellt, sie wolle zunächst die Verleumdungsklage Galloways gegen die konservative Boulevardzeitung Daily Telegraph abwarten. Galloway jedenfalls weist diese Vorwürfe zurück und macht immer wieder darauf aufmerksam, dass er Saddam Hussein schon öffentlich wegen seiner Giftgaseinsätze in der kurdischen Stadt Halabja angegriffen habe, als viele seiner heutigen politischen GegnerInnen den Diktator noch mit Waffen versorgten und ungeachtet der Menschenrechtsverletzungen als Freund des Westens betrachteten.

Im Dezember hob Galloway mit anderen ein Wahlbündnis aus der Taufe und gab ihm den Namen Respect. Ein Akronym, dass übersetzt für Respekt, Gleichheit, Sozialismus, Frieden, Umweltschutz, Gemeinschaft und Gewerkschaft steht. Unterzeichnet haben die Erklärung neben Galloway Blair-GegnerInnen aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern: Salma Yacoob von der Muslim Association of Britain, die gleichzeitig Vorsitzende der Antikriegskoalition in Birmingham ist, der Filmemacher Ken Loach und der Schriftsteller George Monbiot, außerdem zahlreiche VertreterInnen linker Organisationen, zum Beispiel der Socialist Workers Party, und einzelne GewerkschafterInnen. Auch GeneralsekretärInnen größerer Einzelgewerkschaften signalisierten Interesse, haben aber Probleme in ihrer Organisation, da viele FunktionärInnen die Bindung an die Labour-Partei nicht endgültig kappen wollen. So wurde Bob Crow, Generalsekretär der Eisenbahnergewerkschaft RMT, laut Angaben eines Sprechers vom Exekutivkomitee der Gewerkschaft wieder zurückgepfiffen.

Neben ihrer expliziten Kriegsgegnerschaft eint die UnterzeichnerInnen die Ablehnung von Privatisierungen und die Forderung, auch bereits getätigte Verkäufe, zum Beispiel der Eisenbahn und anderer Öffentlicher Dienste, wieder vollständig rückgängig zu machen und die Unternehmen einer öffentlich-demokratischen Kontrolle zu unterwerfen. Sie fordern Renten, deren Erhöhung sich am Durchschnittseinkommen orientiert und die Rücknahme der von der Thatcher-Regierung eingeführten Anti-Gewerkschaftsgesetze. Ebenso stellen sie sich gegen jede Art von Diskriminierung, vor allem von Flüchtlingen und AsylbewerberInnen. Zudem sprechen sie sich für eine staatlich finanzierte und umfassende Gesundheitsversorgung aus und wenden sich gegen die aktuellen Pläne der Blair-Regierung, den National Health Service zu privatisieren.

Andere BlairgegnerInnen, die in der Labour-Partei bleiben und diese unter der Parole »Reclaim Labour« zurückerobern wollen, verweisen dagegen auf das gescheiterte Projekt von Arthur Scargill, der 1996 aus der Labour-Partei ausgetreten war, die Socialist Labour Party gründete und 2001 mit seiner Partei scheiterte. Doch heute, da sind sich die Respect-InitiatorInnen einig, sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen besser. Scargill hatte in den Achtzigerjahren die Avantgarde der Opposition gegen Thatcher angeführt - die kämpferischen BergarbeiterInnen. Ihr Kampf endete jedoch, wie viele andere in den Neunzigerjahren, mit einer Niederlage. Doch seit etwas mehr als einem Jahr gibt es in Großbritannien mit der Anti-Kriegsbewegung wieder eine politisch-oppositionelle Aufbruchstimmung, die Gewerkschaften, linke Organisationen, zahlreiche Intellektuelle, die Labour-Linke und vor allem die britische Jugend erfasst hat.

Ob sich diese Stimmung im Wahlverhalten niederschlägt und das Wahlbündnis Respect tatsächlich diese Kräfte bündeln kann, wird sich im Juni zeigen. Dann werden das Europaparlament und die Greater London Assembly gewählt - beide nicht nach dem in Großbritannien üblichen Mehrheitswahlrecht, sondern nach dem kontinentaleuropäischen Verhältniswahlrecht, das für neue Parteien günstigere Voraussetzungen schafft. Respect will überall in England und Wales KandidatInnen aufstellen. Nur nicht in Schottland. Dort überlässt sie das Feld der Scottish Socialist Party, die mit einem ausdrücklich antikapitalistischen Programm bei den Wahlen zum schottischen Autonomieparlament im Mai dieses Jahres 7,5 Prozent der Stimmen geholt hat - auch auf Kosten der in Edinburgh regierenden Labour-Partei.

Gerhard Klas arbeitet als freier Journalist im Rheinischen JournalistInnenbüro in Köln.