Strukturelles Problem Polizei

Fälle von Gewalttaten durch PolizistInnen werden nur selten öffentlich. Eine Kontrolle der Polizei wird durch den Korpsgeist unter den BeamtInnen erschwert. Auch manche Gesetze fördern Polizeigewalt. Von Torben Strausdat

Gewaltanwendung gehört zum Tagesgeschäft der Polizei. Die Voraussetzungen und Handhabungen sind mehr oder weniger deutlich in Gesetzen geregelt, ansonsten gilt das Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit. Immer wieder auftretende Fälle mit tödlichem Ausgang zeigen jedoch, dass einige PolizistInnen in der Praxis überfordert sind. Begünstigt werden Misshandlungen durch mangelnde Kontrolle, durch Korpsgeist innerhalb der Einheiten und durch teilweise bedingungslose politische Rückendeckung. Daher muss man im Zusammenhang mit Prügel-PolizistInnen von strukturellen Problemen reden.

Am 14. Juli verurteilte ein Amtsgericht in Hamburg drei Polizisten aus Erfurt zu zwölf Monaten Haft auf Bewährung. Auf einer Versammlung gegen die Räumung des Hamburger Bauwagenplatzes Bambule im November 2002, bei der auch Polizeieinheiten aus anderen Bundesländern eingesetzt wurden, prügelten die drei Beamten mit Schlagstöcken auf zwei Männer ein und verletzten diese. Zu diesem Zeitpunkt wussten die Beamten nicht, dass sie Kollegen in Zivil aus Schleswig-Holstein vor sich hatten. Sie fühlten sich im Vertrauen auf den Korpsgeist innerhalb der Polizei vor Konsequenzen sicher.

So sah es auch der Staatsanwalt: Wären die Opfer keine Polizisten gewesen, wären die Täter nie auf der Anklagebank gelandet. Dann hätten dort nicht die drei Polizisten Platz nehmen müssen, sondern die DemonstrantInnen - wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt.

Richter Thomas Semprich zeigte sich überzeugt, dass in der Regel nicht einmal die Identität von Prügel-Polizisten herauszufinden ist. Er warf den Angeklagten Missbrauch ihres Gewaltmonopols vor und verhängte wegen gefährlicher Körperverletzung ein Strafmaß, das sicherstellt, dass sie aus dem Polizeidienst entlassen werden. Semprich sah sich per Urteil zu diesem Berufsverbot genötigt, da disziplinarische Schritte durch die Thüringer Innenbehörden nicht zu erwarten waren. Im Vorfeld hatten Amtsärzte die drei Polizisten mit falschen Attesten krankgeschrieben, sodass die verhängten Haftbefehle in Thüringen nicht vollstreckt wurden. Auch hatte ein thüringischer Staatssekretär den Richter brieflich aufgefordert, die Haftbefehle zurückzunehmen. Der Innenminister Thüringens, Andreas Trautvetter (CDU), intervenierte sogar beim Hamburger Justizsenator Roger Kusch (CDU) zu Gunsten der Angeklagten und hält das jetzt verhängte Urteil für zu hoch.

Tödlich endete im letzten Jahr ein Polizeieinsatz in Stralsund. Das Opfer war ein 35 Jahre alter Obdachloser, der am 6. Dezember 2002 betrunken in einem Einkaufszentrum stürzte. Der herbeigerufene Rettungsdienst sah keinen Grund, den Mann mitzunehmen und übergab ihn zwei Polizeibeamten vor Ort. Diese brachten den hilflosen Mann an einen abgelegenen Ort und setzten ihn dort am Straßenrand aus. Er starb in der Nacht an Alkoholvergiftung und Unterkühlung.

Das Stralsunder Landgericht verurteilte die zwei Polizisten am 9. Juli zu je drei Jahren und drei Monaten Haft wegen Aussetzung mit Todesfolge. Damit gingen die RichterInnen über die Forderung der Staatsanwaltschaft nach einer Bewährungsstrafe hinaus, da die Maßnahme ein reiner Willkürakt gewesen sei, um dem Opfer eine Lektion zu erteilen. Mit dem Aussetzen bei Minustemperaturen hätten die Beamten die Gefahr des Todes in Kauf genommen. Die Polizisten hatten sich unter anderem damit verteidigt, dass Aussetzungen von Obdachlosen gängige Praxis gewesen seien. Im März 2003 stellte das Innenministerium des von SPD und PDS regierten Landes Mecklenburg-Vorpommern per Dienstanweisung klar, dass Aussetzungen hilfloser Personen durch das Polizeigesetz nicht gedeckt seien.

Aber längst nicht alle Misshandlungen werden derart hart geahndet. Schon gar nicht, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage stattfinden, wie der Brechmitteleinsatz bei mutmaßlichen DrogendealerInnen in Hamburg. Dabei wird den Verdächtigen auch gegen ihren Willen ein Brechmittel verabreicht, damit sie möglicherweise heruntergeschluckte Drogenpäckchen erbrechen. Gerechtfertigt wird dies allein mit der Strafverfolgung, obwohl ein großes medizinisches Risiko damit verbunden ist. Die Praxis hat gezeigt, dass die Polizei in Hamburg Brechmittel vor allem bei Jugendlichen dunkler Hautfarbe anwendet. Der 26. Einsatz endete tödlich. Am 8. Dezember 2001 fiel Achidi J. in ein Koma, nachdem ihm durch vier Polizisten und eine Ärztin gewaltsam eine Magensonde in den Rachen eingeführt und ein Brechmittel verabreicht wurde. Vier Tage später verstarb er.

In den Neunzigerjahren sorgten zwei Todesfälle bei Abschiebungen für Aufsehen gesorgt. 1994 wurde der Nigerianer Kola Bankole durch Grenzschutzbeamte im Flugzeug gefesselt, geknebelt und medikamentös ruhiggestellt. Bei der Ankunft war er tot. Vor vier Jahren starb der aus dem Sudan geflohene Aamir Ageeb an Bord einer Lufthansa-Maschine an den Misshandlungen durch die ihn abschiebenden Grenzschutzbeamten. Sie hatten ihm so stark den Kopf in Richtung Fußraum heruntergedrückt, dass er erstickte.

Opfer polizeilicher Misshandlungen sind vor allem Menschen, die allgemein als unbequem angesehen werden. Es sind Menschen, die ihre Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit nutzen, oder soziale Randgruppen wie Obdachlose, Drogenabhängige und Prostituierte. Den meisten Kontrollen und Schikanen sind wohl die ausgesetzt, die eine andere Hautfarbe oder ein anderes Aussehen haben.

Dabei sind nicht alle Misshandlungen Auswüchse kranker PolizistInnengehirne. Oft genug ist die dahinter stehende Gesinnung schon in Gesetze eingeflossen und von der Politik vorgegeben. Um Gewalttaten von PolizistInnen vorzubeugen, wäre es auch nötig, dass die TrägerInnen des Gewaltmonopols endlich effektiv von der Öffentlichkeit kontrolliert werden. Es kann nicht sein, dass trotz Korpsgeist Ermittlungen gegen PolizistInnen von PolizistInnen durchgeführt werden. Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei verhindern allzu oft Anklagen. Die meisten SchlägerInnen in Uniform werden aber deshalb nicht verfolgt, weil diese trotz der jahrzehntealten Forderung nach indentifizierender Kennzeichnung immer noch vermummt als anonyme Roboter auftreten dürfen.