Reiche als VerliererInnen?

Ohne Gebühren bezahlen Arme Reichen das Studium. Angeblich. Volkswirtschaftlich betrachtet stimmt das nicht. Von Volker Elste, Jörg Huwer

Gerhard Wohlfahrt ist Mitarbeiter am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Graz. Die philtrat sprach mit ihm über den volkswirtschaftlichen Aspekt in der Studiengebührenfrage und über die seiner Ansicht nach nötige Unterscheidung zwischen einem Quer- und einem Längsschnitt in der Frage der Steuerleistungen. Der Querschnitt bezieht sich auf die Steuerleistungen innerhalb eines Jahres, während in einem Längsschnitt ein längerer Zeitraum berücksichtigt wird. Das Gespräch führten Volker Elste und Jörg Huwer.

Eines der gängigen Argumente für Studiengebühren lautet, dass ohne Gebühren Arme das Studium von Reichen finanzieren. Stimmt das?

Das Argument ist schlichtweg falsch. Es ist nicht so, dass die Armen die Ausbildung der Reichen finanzieren, sondern umgekehrt. Die Reichen zahlen über das Steuersystem wesentlich mehr ein, als ihre Kinder als Leistung von den Hochschulen zurückerhalten. Die Reichen sind die Verlierer von steuerfinanzierter Hochschulbildung, sie zahlen mehr, als sie profitieren. Und die Armen sind die Gewinner. Ihre Steuerleistungen sind geringer als die Rückflüsse in Form von Hochschulbildung.

Sie unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen dem Quer- und dem Längsschnitt und sagen, dass beide in der Studiengebührendiskussion oft zusammengebracht werden. Warum ziehen sie diese Trennung?

Die gängige Argumentation basiert auf einem Querschnitt, das heißt, man legt ein Jahr zugrunde und berechnet für diesen Zeitraum die Summen, die einzelne Personen leisten beziehungsweise erhalten. Daraus leitet man Nettozahler und Nettoverlierer ab. Dies ist der übliche Umverteilungsbegriff.

Da jedoch Hochschulbildung eine sehr langfristige Sache ist - hier wird Humankapital für die gesamte Erwerbsperiode aufgebaut -, kann man bei Hochschulbildung auch einen Längsschnitt konstruieren. Die Fragestellung lautet dann nicht »Umverteilung zwischen arm und reich«, sondern »Umverteilung zwischen Akademikern und Nichtakademikern« oder »zwischen Arzt und Krankenschwester«, wie es in Deutschland oft zugespitzt heißt.

Diese Fragestellung ist differenzierter zu beantworten. Man benötigt auf jeden Fall eine Definition für die Rückzahlung der Akademiker und wie diese berechnet wird. Hier gibt es noch schwere methodische Mängel und Unterlassungen. Einige Leute argumentieren, dass es eine Umverteilung von Nichtakademikern zu Akademikern gibt. Dies muss noch lange nicht von arm zu reich bedeuten. Es gilt jedenfalls, die verwendete Methode zu verbessern, aber bei verbesserten Methoden kommt meistens heraus, dass Akademiker ihre Ausbildungskosten zurückerstatten.

Sehen sie hinter der momentanen Diskussion eher eine fiskalische oder eine bildungspolitische Motivation?

Ich sehe vor allem sehr inkonsequente Darstellungen, weil die Ziele immer miteinander vermischt werden. Ich kenne sehr wenig klare Aussagen darüber, um was es eigentlich geht. Wenn die Einführung von Studiengebühren oder anderer Instrumente erwogen wird, ist zuerst das Ziel zu definieren. Studiengebühren werden völlig unterschiedlich zu gestalten sein, wenn es um bildungspolitische Ziele, um Steuerungselemente oder um fiskalische Ergiebigkeit geht. Die Befürworter legen sich jedoch in dieser Frage in der Regel nicht fest. Dies ist insofern zu kritisieren, da sie immer auf andere Ziele ausweichen. Das ist natürlich eine sehr unsaubere Politik.

Gibt es ihrer Ansicht nach ein Studiengebührenmodell, das die Zugangsmechanismen zu Bildung für ärmere Schichten nicht beeinträchtigt?

Die Zugangschancen nahezu nicht beeinträchtigen würde eine Bildungssteuer, weil diese mit relativ geringfügig höheren Steuern für Akademiker und Höhergebildete auskommt. Auch das Abschreckungspotential wäre wahrscheinlich zu vernachlässigen. Alle anderen Studiengebührenmodelle, wie zum Beispiel das australische Modell, haben sicherlich einen Abschreckungseffekt.