»Kein Randphänomen«

Christoph Butterwegge über Rechtsextremismus und die Mitte Von Volker Elste, Patrick Hagen

Der Rechtsextremismus ist kein Problem von Randgruppen, sondern kommt aus der Mitte der Gesellschaft, so der Kölner Rechtsextremismusforscher Christoph Butterwegge. Für die philtrat sprachen Volker Elste und Patrick Hagen mit ihm über Rechtsextremismus, Standortnationalismusund die Rolle der Hochschulen.

Welche aktuellen Tendenzen sehen Sie im Rechtsextremismus?

Ich beobachte vor allem, dass dort Neuformierungstendenzen im Gange sind. In der Szene scheint es angesichts des drohenden NPD-Verbots große Verunsicherung zu geben. Dies äußert sich in einer stärkeren Fraktionierung, etwa zwischen den so genannten Freien Kameradschaften und der NPD, die sich seriöser geben möchte, als sie es ist, und den Einfluss militanter Neonazis auf ihre Politik aus taktischen Gründen verringert.

Insgesamt ist das Thema Rechtsextremismus erst durch die Diskussion über den Handgranatenanschlag in Düsseldorf im letzten Jahr wieder in der Öffentlichkeit verankert worden. Im Grunde wird es aber weiter verharmlost: Die vielfachen Bezüge zwischen der gesellschaftlichen Mitte und der extremen Rechten werden nicht selbstkritisch reflektiert.

Welche Hauptverbindungslinien sehen Sie zwischen der Mitte und der extremen Rechten?

Diskurse, die ursprünglich von der extremen Rechten ausgehen, wandern in die politische Mitte. Zum einen ist das Thema »Scheitern der multikulturellen Gesellschaft«, ursprünglich in eher rechten Kreisen diskutiert worden und dann - z.B. in Gestalt des Spiegel-Titels Gefährlich fremd im Jahre 1997 - in die Mitte gewandert. Außerdem wird in Zukunft das Thema Geburtenrückgang und die Veränderung der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung noch an Bedeutung gewinnen, verbunden mit der Sorge, das ›deutsche Volk‹ könnte aussterben. Damit hat sich die extreme Rechte schon seit Jahrzehnten beschäftigt. Aufgegriffen wird es in letzter Zeit nicht nur vereinzelt und zufällig, sondern in regelrechten Diskurszusammenhängen in Medien des Mainstreams und der Mitte, was für mich Ausdruck einer politisch-kulturellen Rechtsentwicklung ist.

Meine Sorge geht eigentlich nicht so sehr dahin, dass der organisierte Rechtsextremismus einen Aufschwung nehmen oder Neonazis an die Macht gelangen könnten, sondern dass Diskursstränge der extremen Rechten in der Mitte übernommen werden, ohne dass diese überhaupt merkt, dass sie mit denselben Schlagworten hausieren geht, wie Rechtsextremisten es seit jeher tun.

Mitte und extreme Rechte sind sich ja vor allem in ihrer Sorge um den Standort Deutschland einig.

Ja, ich glaube, man kann zwei Momente festhalten: Einmal ist die Globalisierung, genauer gesagt die neoliberale Modernisierung, von Bedeutung als ein Konzept für mehr soziale Ungleichheit, das seit dem Bankrott des Staatssozialismus in Osteuropa, also seit 1989/90, die gesellschaftliche Entwicklung prägt. Dieses Konzept der Standortkonkurrenz führt dazu, dass man sehr viel stärker als früher auf Leistung und Konkurrenz sowie auf Marktmechanismen setzt.

In diesem Zusammenhang erfährt der Nationalismus einen Anpassungs- und Modernisierungsprozess. Zwar gibt es weiterhin auch einen völkisch-mystischen, an Blut und Boden orientierten Nationalismus, neben den aber ein Standortnationalismus tritt, der Markt und Konkurrenz so in den Mittelpunkt des Denkens rückt, dass sich jeder mit ›seinem‹ Wirtschaftsstandort bzw. der Standortgemeinschaft identifizieren muss und in seinem persönlichen Umfeld dazu angehalten wird, mehr Leistung und auch Opfer zu bringen für dessen Wettbewerbsfähigkeit. Das wiederum bietet ideale Anknüpfungspunkte für einen sich ebenfalls modernisierenden Rechtsextremismus, der seinen prominentesten Vertreter in Jörg Haider hat.

Das zweite Moment ist die spezielle Situation des wiedervereinigten Deutschland. Nach dem Beitritt der DDR sind bestimmte Hemmschwellen weggefallen, die nationale Frage zu behandeln. Deutschland wird seitdem wieder verstärkt als politisches Kollektivsubjekt wahrgenommen. Es gibt viele Buchtitel und Sendungen im Fernsehen, in denen sich die Sorge um Deutschland niederschlägt, und daneben die Vorstellung, dass das vereinte Deutschland auch eine Großmachtposition in der Welt einnehmen müsse. Hierzu gehört dann auch größere militärische Verantwortung, auch unter Einschluss von verfassungswidrigen Angriffskriegen, wie wir das bei der Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien durch die NATO gesehen haben. Ich denke, auf diese Weise wird Gewalt als Mittel der Politik rehabilitiert, was gleichfalls neue Anknüpfungsmöglichkeiten für den Rechtsextremismus eröffnet. Das heißt, die deutsche Gesellschaft als Ganzes und die Entwicklung, die sie nach der Vereinigung genommen hat, ist ein Nährboden für Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt.

Ich betrachte Rechtsextremismus nicht als ein Randphänomen, als ein Jugendproblem oder als das Problem von rechten Skinheads. Er kommt vielmehr aus der Mitte der Gesellschaft und hängt damit zusammen, wie sich jene Führungsgruppen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung orientieren, die sich selbst als nationale Eliten begreifen. Wenn sie verstärkt auf Leistung, auf nationale Größe, auf die Konkurrenzfähigkeit des ›Wirtschaftsstandortes Deutschland‹ setzen und die Bevölkerung anhalten, sich danach zu verhalten, dann ergeben sich daraus günstigere Entwicklungsbedingungen für den Rechtsextremismus, der praktisch nur politisch radikalisieren und zuspitzen muss, was in der Mitte der Gesellschaft gedacht und geschrieben wird.

Welche Entwicklungsmöglichkeiten des Rechtsextremismus sehen Sie besonders mit Blick auf die Hochschulen?

Bildung, Wissenschaft und Forschung haben im internationalen Standortwettbewerb eine Schlüsselfunktion. Für die Hochschulen ergibt sich daraus einerseits, dass sich ihr Gewicht erhöht, auch wenn sich das noch nicht finanziell auswirkt. Andererseits schafft das Konzept der neoliberalen Modernisierung im Wissenschaftsbereich auch Anknüpfungspunkte für ein neues elitäres Bewusstsein, für das Abschütteln sozialer Mitverantwortung, für ein Wissenschaftsverständnis, das sich allein nach Marktkriterien, nach der ökonomischen Verwertbarkeit von Wissen richtet. Eine Wissenschaft, die sich so versteht, ist tendenziell auch offen dafür, von Ultrarechten missbraucht zu werden. Und das bedeutet auch an den Hochschulen bessere Bedingungen für rechte und rechtsextreme Tendenzen, die ich nicht mal so sehr im Bereich der Burschenschaften sehe oder in einem völkisch-nationalistischen Rechtsruck, sondern eigentlich mehr darin, dass neoliberale Kräfte auch im Wissenschafts- und Hochschulbereich mehr Einfluss gewinnen und damit für soziale Kälte, für Elitedenken, für die Ablehnung sozialer Gleichheit, für ein bewusstes Ausgrenzen sozial Schwacher bessere Bedingungen geschaffen werden.

Dieser neoliberale Umbau, von dem Sie gerade gesprochen haben, wird ja von weiten Teilen der Gesellschaft und den etablierten Parteien getragen. Was sind denn nun die spezifisch rechten oder rechtsextremen Politikinhalte, die da hineingetragen werden?

Die spezifisch rechten bzw. rechtsextremen Momente kommen eigentlich erst da zum Tragen, wo das, was der neoliberale Mainstream denkt, weiter zugespitzt wird, zum Beispiel in Richtung der Ablehnung von Migrantinnen und Migranten. Migration wird selbst an einem Punkt, an dem sogar ökonomische Interessen durchaus für eine vermehrte Zuwanderung sprechen, abgelehnt - zum Teil unter Verweis auf die angeblich sinkende Konkurrenzfähigkeit des ›Wirtschaftsstandortes Deutschland‹. Im Grunde besteht für mich darin das Problem: Es gibt heutzutage fließende Übergänge von einem Standortnationalismus, der neoliberal begründet ist, zu einem, der in rechtsextreme Zusammenhänge eingebunden ist. Genau hier liegt der Unterschied zu früher. Damals waren völkisch-nationalistische und explizit biologistisch-rassistische Projekte des Nationalsozialismus viel deutlicher identifizierbar, als heute die modernisierte Rechte zum neoliberalen Mainstream abgrenzbar ist. Neoliberales, auf Konkurrenz und Markt fixiertes Denken ist so weit verbreitet, bis hinein in rot-grüne und Gewerkschaftskreise, dass die demokratische Gegenwehr kaum greift.

Inwiefern gibt es Anknüpfungspunkte bzw. klare Trennlinien zwischen dem alten und dem modernen Rechtsextremismus?

Die Abgrenzungen sind in der Form gar nicht mehr erhalten, da die Grenzen so fließend geworden sind. Das kann man ganz gut am Beispiel Jörg Haider sehen. Haider spielt zwar verbal mit bestimmten Andeutungen. Er bedient zwar bestimmte Kräfte, die noch in diesen Kategorien denken. Aber er distanziert sich nicht nur aus taktischen Gründen vielfach vom Nationalsozialismus, sondern er tut das, weil er sich auch von Grund auf verändert hat. Das will ich jetzt gar nicht für den Rechtsextremismus insgesamt behaupten. Im Rechtsextremismus sehe ich eine Dualisierung, eine Spaltung in zwei Flügel: einen modernisierten Flügel, den man organisatorisch an den Republikanern festmachen kann und einen völkisch-nationalistischen Flügel, der von der Deutschen Volksunion (DVU) repräsentiert wird.

Bei der NPD ist das Ganze komplizierter: Da spielen auch nationalrevolutionäre Positionen eine Rolle, verbunden mit dem Versuch, die soziale Frage stärker mit der nationalen Frage zu verbinden. Besonders in den ostdeutschen Bundesländern hat die NPD sich sehr stark sozialen Problemen zugewandt.

In anderen Ländern kann man sich auf der äußersten Rechten sehr viel unproblematischer orientieren. International ist der Modernisierungsprozess des Rechtsextremismus daher viel weiter fortgeschritten. Ich glaube, dass der Rechtsextremismus gegenwärtig eine große Veränderung durchmacht, wenngleich das in der Bundesrepublik so vielleicht noch nicht erkennbar wird.