Kein Raum für das Gedenken

Die jüdische Gedenkstätte Jawne könnte aus ihren Räumlichkeiten vertrieben werden. Schuld daran sind hohe Mietforderungen der Allianz. Die BetreiberInnen setzen sich zur Wehr. Von Max Lebsanft

Früher stand auf dem Schulhof des Jawne-Gymnasiums in der Nähe des Friesenplatzes eine alte Kastanie. Auch heute steht am selben Platz ein ausladender Laubbaum. »Manche sagen, es sei der Original-Baum«, erzählt Adrian Stellmacher. »Aber das kann natürlich nicht sein.« Denn das ehemalige Schul- und Synagogengelände wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört. Stellmacher kennt sich aus mit diesem geschichtsträchtigen Ort: Seit 2006 arbeitet der Pädagoge ehrenamtlich für den Arbeitskreis »Lern- und Gedenkort Jawne«. Jawne war von der Gründung 1919 bis zur Schließung im Jahr 1941 das einzige jüdische Gymnasium im Rheinland. Heute gibt es an derselben Stelle eine Gedenkstätte gleichen Namens.

Die Gedenkstätte ist allerdings in Gefahr. Denn der Vermieter des Gebäudes, in dem Jawne residiert, forderte überraschend eine hohe monatliche Miete - die der ehrenamtliche Arbeitskreis nicht zahlen kann.

In seinem Galerieraum stellt der Arbeitskreis seit 2003 Bilder und Dokumente zum früheren Schulalltag aus und empfängt ehemalige Jawne-SchülerInnen sowie Schulklassen aus dem Kölner Raum. An den Wänden hängen großformatige Porträts. Sie zeigen Jawne-SchülerInnen, die der nationalsozialistischen Verfolgung entkommen sind. »Ihre Heimat haben sie verloren«, sagt Stellmacher. »Der einzige Anlaufpunkt, den sie in Köln noch haben und der sie an die glücklichen Augenblicke ihrer Kinder- und Schulzeit erinnert, ist der Jawne-Gedenkort.«

Fünf Jahre lang, seit seinem Einzug, durfte der Arbeitskreis den Raum am Friesenplatz kostenlos nutzen. Im Februar kam dann die schlimme Botschaft. Die Allianz Real Estate, Vemieterin des Galerieraums, verlangte ab dem 1. Januar 2010 Miete in Höhe von 1400 Euro pro Monat. Das sind 20 Euro pro Quadratmeter. Während der folgenden Monate verhandelten die beiden Parteien. Jawne wollte weiterhin von der Allianz gesponsert werden. Diese blieb jedoch hart und bot lediglich an, bei der Suche nach anderen SponsorInnen behilflich zu sein.

Im September kam Bewegung in den Streit: Bei einer WDR- Sendung saßen Jawne-Mitglieder, Kölner PolitikerInnen und Allianz-Vertreter an einem Tisch. Der Immobilienriese, der Gebäude im Wert von fünf Milliarden Euro hält und jährlich einen Mietertrag in Höhe von 300 Millionen Euro erwirtschaftet, bot an, 50 Prozent der ersten und 25 Prozent der zweiten Jahresmiete zu übernehmen. »Die Allianz hat sich überaus störrisch gegeben«, sagt SPD-Politikerin Monika Möller, die bei dem Treffen dabei war.

Öffentliche Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. So dachten etwa AktivistInnen der Sozialistischen Selbsthilfe Köln laut darüber nach, Versicherungsverträge mit der Allianz zu kündigen. Der Jawne-Arbeitskreis selbst macht seit Monaten verstärkt auf sich aufmerksam. Zurzeit sitzt Jehuda Lewin, ein ehemaliger Jawne-Schüler, der heute in Israel lebt und jahrelang um die Auszahlung der Allianz-Lebensversicherung seiner ermordeten Eltern gekämpft hat, an einem Redebeitrag für eine Kölner Gedenkveranstaltung am 9. November, dem Tag der Reichspogromnacht 1938.

Der Streit zwischen Jawne und der Allianz könnte jedoch sogar noch vor diesem Datum ein glückliches Ende finden. So erklärte eine Sprecherin der Allianz Real Estate gegenüber der philtrat, dass für den Teil der Miete, den ihr Unternehmen nicht zahlen will, die Allianz-Lebensversicherung aufkommen könnte. Diese ist die eigentliche Eigentümerin des Galerieraums. In neuen Gesprächen mit Jawne-VertreterInnen im November will die Allianz Real Estate einen Vier- bis Fünfjahresplan vorlegen.