„Ein indirektes Bedauern des Müssens“

Wie ein Historiker die Geschichte des Kölner Verlags M. DuMont Schauberg im Nationalsozialismus im Verlagsauftrag aufarbeitet. Von Pascal Beucker

Viele Juden beschäftigte er ohnehin nicht mehr. Ende 1935 beschloss Kurt Neven DuMont, auch den verbliebenen jüdischen Mitarbeitern zu kündigen. In einem Brief an den Leiter seines Berliner Büros schrieb der Kölner Verleger, er teile dessen Auffassung, "daß demnächst Volljuden, auch wenn sie jetzt noch als Kriegsteilnehmer Mitglied der Reichspressekammer sind, ausscheiden müssen". Deswegen gelte es, zu handeln: "Da wir uns also auf die Dauer doch von den noch verbliebenen jüdischen Mitarbeitern trennen müssen, wir uns anderseits nicht nutzlos Angriffen aussetzen wollen, möchte ich schon jetzt versuchen auch für diese letzten Nichtarier Ersatz zu schaffen." Der Historiker Manfred Pohl liest aus diesem Dokument des vorauseilenden Gehorsams Erstaunliches: Für ihn hat sich Kurt Neven DuMont hier "mit einem indirekten Bedauern des Müssens" über das Ausscheiden der jüdischen Mitarbeiter geäußert.

Nach Bertelsmann und Holtzbrinck hat nun auch das Kölner Medienimperium M. DuMont Schauberg (unter anderem Kölner Stadt-Anzeiger, Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung, Express) seine NS-Zeit wissenschaftlich untersuchen lassen. Als Konsequenz aus einigen despektierlichen Medienberichten über die Verstrickung der Verlegerfamilie in den Nationalsozialismus vergab das traditionsreiche Familienunternehmen im Mai 2006 den Auftrag an Pohl. Jetzt hat der frühere Leiter des Historischen Instituts der Deutschen Bank das 543 Seiten starke Ergebnis seiner dreijährigen Forschungsarbeit unter dem schlichten Titel "M. DuMont Schauberg" im Campus Verlag veröffentlicht. Ein eigenartiges Buch: Es lügt nicht - und sagt doch ebenso wenig die Wahrheit. Anders als in früheren Publikationen aus dem Hause DuMont wird nicht mehr peinlich verschwiegen, was inzwischen nicht mehr zu verschweigen ist: Weder Kurt Neven DuMonts Eintritt in den Stahlhelm 1933 und in die NSDAP 1937 inklusive einer Tätigkeit als Zellenkassenwart der Partei noch seine SA-Mitgliedschaft. Auch die Aktivitäten seines Cousins August als Blockleiter der NSDAP und stellvertretender Amtsleiter der NS-Volkswohlfahrt finden Erwähnung. Aber die zusammengetragenen Fakten stehen in einem bizarren Kontrast zu den Schlussfolgerungen, die aus ihnen gezogen werden. Geradezu krampfhaft ist Pohl darum bemüht, die Verlegerfamilie und insbesondere den 1967 verstorbenen Kurt Neven DuMont nach wie vor in einem milden Licht erscheinen zu lassen. Abgesehen von manch handwerklicher Schlamperei (so lässt Pohl auf Seite 45 Friedrich Ebert bereits 1921, also vier Jahre zu früh sterben), ist es dieser offenkundige Widerspruch, der sein Buch fragwürdig erscheinen lässt. Die Entwicklung Kurt Neven DuMonts bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes unterteilt Pohl in drei Phasen: Bis 1933 "ein liberaler Geist", bis 1937 "ein verzweifelter und zerrissener Charakter" und danach ein resignierter Mitläufer. Pohl attestiert dem Verleger in alter deutscher Verdrängungstradition, seine liberale Überzeugung nur "nach außen hin" aufgegeben zu haben. "Er hasste die Nationalsozialisten, sah sich aber gezwungen, mit ihnen zu verhandeln, wollte er die Zeitung retten", heißt es. Doch damit macht er es sich zu einfach. Schon der Untertitel von Pohls Buch ist nur eine Halbwahrheit: "Der Kampf um die Unabhängigkeit des Zeitungsverlags unter der NS-Diktatur". Die DuMonts kämpften dafür, im Besitz ihres Verlages zu bleiben. Einen Kampf um ihre journalistische Unabhängigkeit führten sie nicht. In einer Tagebuchaufzeichnung vom 27. Juni 1933 bringt Kurt Neven DuMont diesen Gegensatz selbst auf den Punkt: "Wie der Nationalsozialismus alle Parteien beseitigt hat, will er auch die Presse an die Mauer quetschen, obschon wir natürlich bereit sind, ja es schon getan haben, nämlich in allen Blättern 100 Prozent für den nationalsozialistischen Staat einzustehen. - Wir müssen aber so lange um unsere Zeitung kämpfen, wie wir können." Flaggschiff des Verlages war die Kölnische Zeitung. "Mit der Diktatur des Nationalsozialismus" sei sie "automatisch zu einem unterstützenden Blatt in der Zeit des Nationalsozialismus" geworden, schreibt Pohl. Das ist so nicht richtig. Anders als bei der Vossischen oder der Frankfurter Zeitung, mit denen der Historiker die Kölnische Zeitung aufgrund ihrer einst gemeinsamen liberalen Richtung zu Recht vergleicht, setzte bei ihr die Anpassung früher ein. So trommelten die Publikationen DuMonts bereits 1932 immer offensiver für die Regierungsbeteiligung der NSDAP, letztendlich auch zu den Bedingungen Hitlers. Zufrieden resümierte die Kölnische Zeitung am 31. Januar 1933, dem Tag nach dessen Ernennung zum Reichskanzler: "Ja, der Sprung mußte getan werden über kurz oder lang; denn Deutschland muß endlich zur Ruhe kommen." Ausgangspunkt für Pohls Studie waren Enthüllungen im Frühjahr 2006 über anrüchige Grundstückskäufe der DuMonts im Dritten Reich. Bis heute wehrt sich Verlagspatriarch Alfred Neven DuMont, der Sohn Kurts, mit allen juristischen Mitteln gegen den Vorwurf, seine Eltern hätten "Arisierungsprofite" gemacht. Pohl erhebt einen solchen Vorwurf nicht, stellt allerdings fest, dem Erwerb von Grundstücken während der NS-Zeit habe "ein Ruch anhängen" müssen. "Dies gilt insbesondere für wissentlich aus jüdischem Besitz erworbene Objekte." Weshalb sich die DuMonts trotzdem das Geschäft nicht entgehen ließen, "wird wohl ein Rätsel bleiben", meint er. Nicht die einzige Frage, auf die Pohl keine Antwort gefunden hat: So stieß er zwar auf einen "Hinweis auf die vermutliche Mitarbeit von französischen Kriegsgefangenen oder auch Zwangsarbeitern im Verlag". Dieser habe jedoch "nicht mit weiteren Quellen recherchiert, weiter verfolgt und bestätigt werden" können. Kölnische Zeitung und Stadt-Anzeiger erschienen bis kurz vor der Kapitulation des Dritten Reiches. Erst nach der Gründung der Bundesrepublik 1949 durfte Kurt Neven DuMont wieder eine Zeitung herausgeben. "Mindestens zweimal in seinem Leben", schrieb Sohn Alfred 1973 über den Vater, habe der "Unrecht über sich ergehen lassen müssen": Das erste Mal bei den Nazis, weil er denen ein Dorn im Auge gewesen sei. Das zweite Mal, als ihm die Alliierten nach dem Krieg "ohne Berücksichtigung seines tatsächlichen Verhaltens" verboten hätten, als Verleger tätig zu sein. Manfred Pohl hat die Chance gehabt, zu einer Korrektur dieser eigentümlichen Geschichtssicht beizutragen. Er hat sie nicht genutzt.