Hellfire

Das Buch Jerry Lee Von Thomas Hemsley

Aus dem Südstaaten-Sumpf von Evangelismus, Country, Western und Bordellmusik, der den Rock 'n' Roll gebar, entsprang auch »der letzte wilde Sohn«: Jerry Lee Lewis. Eben diesem selbst ernannten Teufelsmusiker widmete der Gonzojournalist und Schriftsteller Nick Tosches 1982 die wegweisende Biografie Hellfire, die 1989 erstmals auf Deutsch erschienen ist und jetzt von der Edition Tiamat neu aufgelegt wurde.

Tosches begnügte sich nicht damit, gut recherchierte Fakten aneinander zu reihen. Vielmehr gleicht das Buch einem Roman, der den kometenhaften Aufstieg und skandalumwitterten Fall des so genannten »Redneck-Faust« nachzeichnet. Der Autor nutzt das Leben dieses Wesens »von mythischer Abkunft« (Zitat Tosches), um einen Teil der amerikanischen Kulturgeschichte zu erzählen, der von einer geradezu archaischen Wechselwirkung zwischen Religiosität, Sexualität und Musik geprägt ist.

Dies tut er in einem Stil, der von der Poesie, dem Pathos und auch der Profanität des alten Testaments inspiriert ist. Besonders deutlich wird das bei der Beschreibung des Durchbruchs von Jerry Lee Lewis mit dem Song Whole Lotta Shakin' Goin' On. Zuerst erprobt er seine Version in einem Club in Arkansas, in dem die »reifen, eingezwängten Brüste« der anwesenden Frauen »zu seinem Gehämmer auf- und abwogten« und sie ihm mit »ihren offenen angemalten Mündern in die Hölle folgten.« Nach dieser Performance ging er »gottgleich von der Bühne« und »trank aus dem Kelch des schwachen Geschlechts, warf ihn zu Boden und zog dann weiter.« Der Song sollte denn auch ein Riesenhit werden, der »gleich Donnergrollen ohne Regen aus Autos und Bars und all den offenen Fenstern der Unerlösten« tönte, die Landjugend verschlang, »Jungfern bluten« machte, frischgebackene Hausfrauen anregte »sich an Dinge zu erinnern, von denen sie niemals sprachen« und Jungen dazu inspirierte »sich zu flammenden neuen Wesen umzumodeln und ohne Rücksicht und Erbarmen Entladung zu suchen.«

Danach folgten »Great Balls of Fire«, Eheskandale, familiäre Todesfälle, Erfolge mit Countrymusik, Verschuldung, Gewaltausbrüche und alles, was zum wilden Leben dazugehört. Dennoch bleibt ein dunkles Geheimnis: Was trieb diesen zutiefst gläubigen, begnadeten Pianisten dazu, kopfüber ins Höllenfeuer zu hechten? All jenen, denen das zu pathetisch ist, entgeht ein großartiges Buch - abgesehen davon, dass sie den Rock 'n' Roll nicht verstanden haben.