Vernetzte Comic-Kultur

Dank der Möglichkeiten des Internets haben sich Webcomics seit ihren Anfängen Mitte der Neunzigerjahre rasant verbreitet. Eine Subkultur unter der Lupe. Von Thomas Hemsley

Nach Feierabend wollen sich die Mitarbeiter eines Kinos einen Film über ComputerspieltesterInnen ansehen. Stattdessen nutzen sie die technischen Möglichkeiten des Kinos, um ein Spiel auf der großen Leinwand zu spielen. Diese Szene findet sich in Gordon McAlpines nur im Internet veröffentlichten Comic Multiplex. Das letzte Panel des Strips zeigt die Kinomitarbeiter in der ersten Reihe sitzend und mit lautstarker Begeisterung spielend. In diesem Bild vereinen sich die Interaktivität von Computerspielen, die überwältigende ästhetische Erfahrung des Kinos und die Konzentration komplexerVorgänge in simplen Comic-Bildern. Nach Vorläufern im Usenet und den Anfängen des Internets erschien 1995 mit Charley Parkers Argon Zark! der erste richtige Webcomic. Er wurde am Computer hergestellt, nicht analog gezeichnet und dann eingescannt wie seine Vorläufer und viele aktuelle Comics. Er wurde zunächst auch nur im Internet publiziert. Parker thematisierte das Internet, indem er seinen Helden Abenteuer im Cyberspace erleben ließ. Sein Motto ist: »I link, therefore I am!« Parker passte das Seitenformat dem horizontalen Format des Computerbildschirms an und nutzte verschiedene Multimediaanwendungen. Es folgten schnell weitere Comics, die das Potenzial ausloteten: Musik, kontroverse Inhalte, die man sonst nur aus Undergroundcomics kannte, herkömmliche Gagstrips und komplexe, langfristige Storylines. Neben den herkömmlichen Genres der Printcomics, die auch im Internet weiterhin beliebt sind, wie zum Beispiel Strips mit anthropomorphen Tieren (Kevin and Kell), entwickelten sich recht schnell fanspezifische Comics, die es so in Printform nicht gibt. Zu den bekannteren gehören Comics über ComputerspielerInnen, wie PvP, oder Filmkritik-Comics wie Theater Hopper, Popcorn Picnic und eben Multiplex. Trotz des Images der sozialen Inkompetenz, Eigenbrötelei und emotionalen Distanz, das ComputerspielerInnen oder Comic-Fans immer anhaftet, ist ein großer Teil dieser so genannten Nerds und Geeks eingebunden in vielgestaltige subkulturelle Strukturen. Netzwerkpartys, Fanzines, Festivals, Conventions, Kinobesuche mit der Clique und Fachgeschäfte als Treffpunkte sind einige der Varianten, »realen« Kontakt zu anderen Fans zu haben. Das Internet erweitert das Spektrum der Möglichkeiten auf eine globale Ebene. Dieser Umstand und die vielen Schnittstellen der einzelnen Subkulturen sorgen dafür, dass die inzwischen schon sehr vielfältige Webcomic-Kultur schnell wächst. Das lässt sich wohl damit erklären, dass das Internet allen Personen mit Computer und Internetanschluss ermöglicht, ihre Meinung kund zu tun. Genauso können alle, die glauben, zeichnen zu können, einen Comic veröffentlichen. Da die meisten UserInnen Fans sind und es sich anbietet, Comics über etwas zu machen, womit man sich auskennt, kommentieren die genannten Comics nicht nur Spiele und Filme, sondern auch mit einer großen Prise Ironie die Lebensstile und die klischeehaften Eigenschaften der Gleichgesinnten. Dadurch werden in den besten Fällen das Publikum und die Industrie so witzig wie treffend beleuchtet. Ebenso schnell wie die Kunstform entwickelte sich auch eine Infrastruktur der Distribution und des Austauschs. »Verlage« wie Keenspot, Onlinezeitschriften wie der Webcomics Examiner und Foren wie Comixpedia bieten den KünstlerInnen und KonsumentInnen eine Plattform. Die meisten KünstlerInnen haben auf ihren eigenen Seiten Gästebücher oder Blogs. Es gibt Merchandising-Artikel und Links zu den Lieblingscomics der einzelnen AutorInnen. Die Szene ist gut vernetzt. Sind KünstlerInnen verhindert oder wollen eine Pause einlegen, überbrücken GastzeichnerInnen die Wartezeit, oder Charaktere aus dem einen Comic tauchen im anderen auf. Damit kommt die Webcomicgemeinde nah an die Verwirklichung des »Global Village«-Gedankens der Multimediawelt heran. Von Anfang an waren Comics als Gebrauchskunst für die Zeitung lesenden Massen gedacht. Sie wurden meist in Teamarbeit von mehrköpfigen Studios produziert, am Frühstückstisch von der ganzen Familie gelesen und in Heften gesammelt auf Schulhöfen hin- und hergetauscht. Aber auch inhaltlich spielt Gemeinschaft im Comic oftmals eine große Rolle. Ob SuperheldInnengruppen, die Peanuts um Charlie Brown, das kleine unbeugsame gallische Dorf oder Schlumpfhausen: Freundschaft, Kommunikation, Gruppenzugehörigkeit und Teamwork sind hier wichtige Elemente.