Kein »Ich widerrufe«

Die Geschichte der Bahá'í: Wie eine bildungsbewusste Minderheitsreligion im Iran verfolgt und unterdrückt wird. Von Christina Rietz

Schiraz im Südiran am 18. Juni 1983: An diesem Tag endet das Martyrium zehn junger Frauen, die seit Monaten gefangen gehalten wurden. Man hatte sie mehrfach gefoltert, immer wieder gedemütigt. Dabei hätte ein Satz ihrerseits genügt, um ihren Qualen ein Ende zu bereiten. Doch trotz der langen Tage im Gefängnis und der Gewissheit sterben zu müssen, spricht keine der Inhaftierten ein rettendes »Ich widerrufe«. Und so führt man sie an diesem Sommertag nacheinander zum Galgen. Die noch Verbliebenen sehen, wie eine nach der anderen gezwungen wird, die Hände ihres Henkers zu küssen. Aufrecht lassen sie die Chance auf Rettung verstreichen und gehen in den Tod - als Bahá'í, die sich durch nichts und niemanden dazu zwingen lassen, ihren Glauben aufzugeben.

Mit der Exekution von zehn Frauen, die unerlaubterweise nicht-muslimischen Religionsunterricht erteilt hatten, fand die Verfolgung der Bahá'í in der Islamischen Republik Iran 1983 einen traurigen Höhepunkt.

Die Wurzeln des vergleichsweise jungen Glaubens liegen im 19. Jahrhundert. 1863 verkündete ein aus dem damaligen Persien verbannter Mann namens Baha'u'llah im osmanischen Bagdad, er sei ein Botschafter Gottes. Bereits diese Äußerung war für die mehrheitlich schiitischen Muslime im Iran eine theologische Unmöglichkeit, galt ihnen doch Mohammed als letzter Prophet, nach dem keine anderen mehr folgen sollten. Als wäre das nicht schon Provokation genug gewesen, enthalten Baha'u'llahs Lehren noch mehr, das mit dem Islam unvereinbar schien: die prinzipielle Einheit aller Weltreligionen, Harmonie zwischen Wissenschaft und Religion, Gleichberechtigung der Geschlechter und: kein Klerus. Diese durchaus progressive Einstellung machte den Baha'u'llah zum Opfer seiner eigenen Lehren. Der Religionsstifter wurde verbannt und lebte vierzig Jahre im Exil.

Seine rasch größer werdende AnhängerInnenschaft war starken Repressionen ausgesetzt. Im Jahr 1991 änderte sich jedoch die Taktik: von offener Verfolgung hin zu diskreten, aber nicht weniger wirkungsvollen Unterdrückungsmethoden. Ein damals geheimes Regierungsmemorandum spricht eine deutliche Sprache: »Sie müssen aus den Universitäten ausgewiesen werden, entweder im Anmeldeprozess oder während des Verlaufs ihrer Studien, sobald es bekannt wird, dass sie Bahá'í sind.«

»Auf den Formularen zur Anmeldung für die Eingangsprüfung muss man seine Religion ankreuzen«, erzählt Schirin K. (Name von der Redaktion geändert), die an der Universität Köln unter anderem Islamwissenschaften studiert, »aber man kann nur zwischen Islam, Judentum, Christentum und Zarathustrismus wählen.« Wer demnach entweder gar nichts ankreuze oder gesondert »Bahá'í« vermerke, der sei somit geoutet und dürfe an den Examina nicht teilnehmen oder werde nach der Teilnahme automatisch in die Rubrik »Muslim« eingestuft. Das Recht auf Bildung, das in den internationalen Konventionen, die auch der Iran unterschrieben hat, verankert ist, wird den Bahá'í verwehrt. Ziel ist es, einen Erosionsprozess des Bildungsniveaus in Gang zu setzen, der eine geistige Verarmung der Bahá'í-Gemeinde einleiten soll.

Von den heute 7,6 Millionen Bahá'í leben zirka fünftausend in Deutschland. Auch Schirin ist hier geboren. Ob es sie nie in den Iran gezogen habe? »Doch, schon«, sagt sie nach einigem Nachdenken, aber was würde ihr ein Aufenthalt dort schon bringen können? Ein Studium an einer iranischen Universität sei ihr ohnehin verwehrt. Auf diesen Missstand wollen junge Bahá'í im Ausland immer wieder aufmerksam machen. Sie wollen erreichen, dass die Regierung des Landes, aus dem ihre Religion stammt, zu den internationalen Abkommen steht und alle Bahá'í, die ihren Glauben nicht widerrufen wollen, im Iran studieren können.

Zurzeit wird viel über den Iran geschrieben. Die verbalen Brandsätze des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und der Konflikt um die Atomanlagen ziehen zu Recht die gesamte mediale Aufmerksamkeit auf sich. Allerdings werden Irans Intellektuelle nicht müde, in westlichen Zeitungen immer wieder eindringlich zu betonen, dass ihr Land anders sei, dass es toleranter, weltoffener und progressiver sei als seine Ayatollahs und Revolutionsführer. Die Bahá'í würden den Beweis gerne antreten.

Informationen zu Geschichte und Zielen der Bahá'í sind im Internet unter denial.bahai.org zu finden.