Bildung asozial

UN-Inspektor kritisiert das deutsche Schulsystem. MigrantInnen und Kinder aus armen Familien sind besonders benachteiligt. Von Gregor Leyser

Deutsche Kindergärten, Schulen und Hochschulen haben im Februar dieses Jahres hohen Besuch bekommen. UNO-Sonderberichterstatter Vernor Muñoz Villalobos reiste zehn Tage durch die Bundesrepublik, um das deutsche Bildungssystem zu begutachten. Wie ernst ihm sein Auftrag war, zeigte sein häufiges Abweichen vom organisierten Programm, um sich abseits der Vorzeigeeinrichtungen ein Bild von der deutschen Bildungsrealität zu machen. Sein Urteil ist nach der PISA-Studie der zweite harte Schlag für die hiesige Bildungspolitik.

Ineffektiv und unsozial sei das Bildungssystem hierzulande, lautete Muñoz' Fazit. Er kritisierte besonders die frühe Aufteilung der SchülerInnen auf die unterschiedlichen Schularten. Dieses Verfahren wird weltweit neben Deutschland nur noch in Österreich praktiziert und sorgt seiner Ansicht nach dafür, dass die SchülerInnen ihre Potenziale später nicht voll ausschöpfen können. Muñoz zitierte eine Studie der »International Association for the Evaluation of Educational Achievement«, der zufolge 44 Prozent der ViertklässlerInnen in Deutschland in Schultypen einsortiert werden, die nicht ihren Möglichkeiten entsprechen. Das bedeutet, dass zu einem großen Teil das Schulsystem für schlechte Leistungen der SchülerInnen verantwortlich gemacht werden muss. Vor allem SchülerInnen aus sozial schwachen Familien und mit Migrationshintergrund haben eine schlechte Ausgangsposition und werden allzu oft an Hauptschulen abgeschoben.

»Der Zugang zu Bildung ist ein Menschenrecht«, mussten sich die deutschen GastgeberInnen belehren lassen. Damit verbunden war die Aufforderung, der UN-Kinderrechtskonvention vollständig zu folgen und auch älteren Flüchtlingskindern über 16 Jahre und Jugendlichen ohne Papiere den Schulbesuch zu ermöglichen. Doch die Kritik von Muñoz setzte bereits bei der vorschulischen Bildung an. Durch die kostenpflichtigen Kindergärten werden viele Kinder vollständig davon ausgeschlossen und somit benachteiligt.

Ob diese Probleme in näherer Zukunft beseitigt werden können, scheint hinsichtlich der anstehenden Föderalismusreform eher fraglich. Denn ein weiterer Kritikpunkt des Sonderbeauftragten, die Verantwortlichkeit der Länder für die Bildungspolitik, wird im Zuge der Reform voraussichtlich verschärft werden. Derzeit ist es bereits so, dass die jährlichen Ausgaben pro SchülerIn in den einzelnen Bundesländern zwischen 3800 und 6300 Euro schwanken, hinzu kommen die unterschiedlichen Schulsysteme. Nach dem derzeitigen Ergebnisstand der Föderalismuskommission gibt der Bund fast alle seine Entscheidungskompetenzen im Bildungsbereich ab. Eine weitere Verschlechterung der Chancengleichheit ist Muñoz zufolge zu erwarten.

Die politischen Reaktionen auf die Äußerungen des Sonderbeauftragten waren geteilt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützt die Kritik. »Föderaler Wettbewerb à la Schavan und Stoiber verschärft die Probleme, statt zu ihrer Lösung beizutragen«, sagte die stellvertretende GEW-Vorsitzende Marianne Demmer. Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) verteidigte hingegen die bestehenden Strukturen und kritisierte die in ihren Augen einseitige Sichtweise von Muñoz, der zu wenig auf die berufliche Bildung eingegangen sei. Auch sieht sie im Bildungsföderalismus, dem er als Legitimation lediglich eine »historische Tradition« zugestand, kein Hindernis für Mobilität und Vergleichbarkeit. Der schriftliche Bericht des UN-Beauftragten soll 2007 erscheinen.