Gehen kann ich allein: Liebesgeschichten ohne Liebe

Von Christina Rietz

Adolf Muschg ist einer der erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. Er hat einige der wichtigen Literaturpreise abgeräumt und war Präsident der Berliner Akademie der Künste. Außerdem hat er Liebesgeschichten geschrieben, die kürzlich das erste Mal in Taschenbuchform aufgelegt wurden.

Der Titel ist allerdings leicht irreführend. Mit der Liebe haben die fünf in dem Bändchen versammelten Erzählungen nur insofern etwas zu tun, als sie über Dinge berichten, die man gemeinhin mit Liebe verbinden könnte. Da geht es um eine Ehe, eine Brieffreundschaft, eine Zweckheirat und vieles mehr, jedoch die Liebe an sich kommt nicht vor - außer in ihrer pervertierten Form, der Obsession.

Das gesamte Personal in Muschgs Erzählungen kämpft mit den verschiedensten Problemen. Seien sie physischer oder psychischer Art, sie hindern meistens am Vollzug dessen, was man in Liebesgeschichten zu finden gedenkt. Einer sitzt in der Todeszelle, der Fahnenflucht angeklagt, weil er anstatt zu kämpfen Geschlechtsverkehr mit seiner ehemaligen einbeinigen Französischlehrerin hatte, und schreibt einen Abschiedsbrief an einen Freund. Der nächste, Sutter, bekannt aus anderen Romanen Muschgs, muss sich mit dem bevorstehenden Tod seiner an Darmkrebs erkrankten Frau abfinden. Ein anderer wiederum, ein argentinischer Caballero, lässt seine untreue Frau lynchen und bildet sich sein halbes Leben lang ein, er hätte Darmkrebs.

Die Präsentation dieser speziellen Liebesgeschichten ist überzeugend und gelungen, in jeder Erzählung herrscht ein anderer Ton vor. Immer wieder fabriziert Muschg rasante Stilbrüche, die einen komischen Effekt hervorrufen. In dem Schreiben eines Schweizer Leibwächters an seinen weißrussischen Brieffreund findet sich folgendes Beispiel: »Die Vollmondnacht blieb undurchsichtiger als der Tag, das Schneegebirge wanderte uns gelassen entgegen, nur unsere Kabine sprang wie eine Jahrmarktsgondel. Und während ich die Flügel schwanken sah und den Minister hinter mir kotzen hörte, schien die Welt gänzlich zu erstarren.« Eigentlich ist der Brief politisch, geht es doch um die Zeit, »als die Schweiz eines schönen Septemberabends mit sieben Bundesräten ins Bett ging und am anderen Morgen mit siebzehn Ministern wieder aufstand.« Die LeserInnen finden bei Muschg keine herkömmlichen Liebesgeschichten, sondern eine Sammlung von lesenswerten Erzählungen, die durch die vielen Perspektivwechsel der Erzähler und einen raschen Wechsel zwischen den Stilen bestechen könnte.