»Du sollst nicht langweilen«

Ob als Regisseur von Komödien, Mediensatiren, einem Alkoholikerdrama, Film Noir oder ob im realen Leben - Billy Wilder beherzigte sein eigenes Filmemacher-Gebot bis zum Ende. Von Thomas Hemsley, Beate Schulz

Der Legende nach versuchte Billy Wilder mehrfach vergeblich, von Mexiko aus in die Vereinigten Staaten einzureisen. Als er schon nahe daran war, die Hoffnung aufzugeben, traf er auf einen neuen Grenzbeamten, der ihn nach seinem Beruf fragte. Wilder antwortete ihm, er sei Filmemacher, worauf der Beamte ihn ansah, seine Papiere stempelte und ihn aufforderte: »Machen Sie gute Filme!« Ob der Grenzbeamte nachher lebenslang Wilder-Fan war, ist nicht überliefert, aber mit den 26 Filmen, bei denen er Regie führte, dürfte Wilder seine Einreiseauflagen mehr als erfüllt haben.

Geboren als Samuel Wilder in Galizien, verbrachte er den Großteil seiner Kindheit in Wien. Seine Liebe zur amerikanischen Kultur »erbte« er von seiner Mutter, die ihn Billie nannte. Angefacht wurde sein Interesse durch regelmäßige Kinobesuche, Jazz und die Lektüre von Karl May und Mark Twain.

Nach der Matura arbeitete er als Kriminalreporter in Wien. Er schrieb aber auch Porträts über bekannte Wiener Persönlichkeiten wie Arthur Schnitzler und über Musik. Das führte zu einer Begegnung mit Jazzmusiker Paul Whiteman, der ihn prompt mit nach Berlin nahm, damit er über ihn schreiben konnte. Im Berlin der »Goldenen Zwanziger« schlug er sich als Reporter, unter anderem mit einer Artikelserie über seine Tätigkeit als Eintänzer im Hotel Eden, und Ghostwriter bei Filmdrehbüchern durch.

Die Geschichte seines Durchbruchs als Drehbuchautor gehört zu den zahlreichen Anekdoten, die er selbst nicht besser hätte schreiben können: Ein Filmproduzent unterhielt eine Affäre mit Wilders Nachbarin. Als er ihm auf der Flucht vor dem eifersüchtigen Freund Unterschlupf gewährte, nutzte Wilder die Gelegenheit und drängte ihm ein Drehbuch auf. In der Folgezeit war er als Autor an verschiedenen Filmen beteiligt, unter anderem dem Berlin-Klassiker Menschen am Sonntag, der die Nouvelle Vague vorwegnahm, und der ersten Verfilmung des Kinderbuchklassikers Emil und die Detektive von Erich Kästner.

Wie so viele jüdische Filmschaffende vor ihm flüchtete Wilder am Tag nach dem Reichstagsbrand nach Paris. Dort führte er das erste Mal Regie, bei dem heute vergessenen Film Mauvaise Graine. Ein Jahr später verließ er Paris in Richtung Hollywood, ohne die englische Sprache zu beherrschen. Teils lernte er Englisch von Peter Lorre, mit dem er sich ein Apartment teilte, teils brachte er es sich selbst durch das Hören von Baseballübertragungen im Radio und das Lesen der amerikanischen Literatur bei, die er schon auf deutsch kannte.

Zunächst arbeitete er auch in Hollywood als Drehbuchautor, unter anderem für sein Idol Ernst Lubitsch. Da aber mit Ausnahme von Lubitsch und Howard Hawks die meisten Regisseure seine Drehbücher nicht so verfilmten, wie er es wollte, nahm er 1942 selbst auf dem Regiestuhl zu Der Major und das Mädchen Platz. Spätestens mit seinem dritten amerikanischen Film erlangte er einen festen Platz im Pantheon der Filmgötter. 1944 inszenierte er den Film Noir-Klassiker Double Indemnity, nach der Vorlage von James Cain, die er zusammen mit Raymond Chandler adaptierte. Woody Allen übertreibt kaum, wenn er diesen Film über Gier, Lust, Korruption und Mord schlicht als besten amerikanischen Film überhaupt bezeichnet. Mit The Lost Weekend ließ Wilder die erste ernsthafte filmische Beschäftigung mit Alkoholismus folgen, für die er die ersten beiden seiner insgesamt sechs Oscars erhielt - für Drehbuch (zusammen mit Charles Brackett) und Regie. Seinen dritten Oscar (Drehbuch) bekam er für Sunset Boulevard (1950) - Wilders Abgesang und Hommage an das alte Hollywood.

Ace in the Hole, die Geschichte eines zynischen Reporters, der die Rettung eines verschütteten Bergmanns verzögert, um Schlagzeilen zu machen, wurde zwar ein kommerzieller Flop, ist aber im Hinblick auf die Abgründe der Boulevardpresse und ihre Ausschlachtung von Tragödien immer noch aktuell. Seine Gefangenenlagerkomödie Stalag 17 gilt als Vorläufer von Filmen wie Operation Petticoat, MASH und Police Academy. In zwei Filmen, Manche mögen's heiß und Das verflixte siebte Jahr, arbeitete er mit Marilyn Monroe. Nach diesen Filmen sagte er, er sei »zu alt und zu reich«, um noch einmal mit ihr zu arbeiten.

Für Das Appartement erhielt er als Erster die Oscars für besten Film, bestes Drehbuch und beste Regie in Personalunion. Danach folgten weitere Meisterwerke wie Eins, zwei, drei und die erste seltsame Paarung von Jack Lemmon und Walter Matthau (Der Glückspilz), mit denen er auch 1981 seinen letzten Film Buddy Buddy drehte.

Selbst im Ruhestand verschwand er nie von der Bildfläche. Es wurden Bücher über ihn und sein Werk geschrieben, unter anderem Hellmuth Karaseks Billy Wilder. Eine Nahaufnahme und Cameron Crowes Interviewbuch Hat es Spaß gemacht, Mr Wilder? Er wurde mit Auszeichnungen für sein Lebenswerk überhäuft, wie der National Medal of Honor. Er ging noch lange Jahre regelmäßig in sein Büro und schrieb Ideen in sein Notizbuch, aber er sollte keinen Film mehr machen. Sein hohes Alter ist nur eine Erklärung. Hinzu kam, dass die Schattenseiten des Kapitalismus (Gier, Macht und Korruption), die so häufig seine Themen waren, inzwischen geradezu salonfähig waren. »Today we spend eighty percent of the time making deals and twenty percent making pictures,« so Wilder über das moderne Kino. Den Film Schindlers Liste, mit dem er den Tod seiner Mutter, Großmutter und seines Stiefvaters in Auschwitz aufarbeiten wollte, übergab er an den von ihm geschätzten Steven Spielberg - nach eigenem Bekunden wäre das sein persönlichster Film geworden.

Als Fernando Trueba 1992 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhielt, sagte er, dass er nicht an Gott glaube, und stattdessen gerne Billy Wilder danken wolle. Am 22. Juni 2006 wäre der 2002 verstorbene Billy Wilder hundert Jahre alt geworden.