Das Ende einer langen Hassliebe

Pünktlich zur Unterzeichnung des schwarz-roten Koalitionsvertrages in Berlin hat der Kölner Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge die SPD verlassen. Vor dreißig Jahren wurde er noch ausgeschlossen. Von Pascal Beucker

Christoph Butterwegge hat sein SPD-Mitgliedsbuch mitgebracht. Der Kölner Professor legt es vor sich auf den Tisch. Etwas Nostalgisches liegt in seinem Blick, wenn er auf das kleine rote Büchlein schaut. Während der neue SPD-Parteivorsitzende Matthias Platzeck am 18. November in Berlin mit seiner Unterschrift unter den Koalitionsvertrag das Regierungsbündnis mit der Union besiegelt, ist Butterwegge an diesem historischen 18. November in das Deutzer Bürgerzentrum gekommen, um das für ihn Unvermeidliche zu erklären: seinen Austritt aus der SPD. Was sich jetzt in Berlin gebildet habe, sei eine »große Koalition gegen den Sozialstaat«, sagt der 54-jährige Leiter der Abteilung Politikwissenschaften an der Kölner Universität, »eine solche Politik kann ich nicht mittragen«. Es ist das Ende einer langen, schwierigen Beziehung.

Butterwegges Mitgliedsbuch weist den 1. Januar 1987 als Eintrittsdatum aus. Zum ersten Mal tritt er allerdings bereits 1970 in die SPD ein. Er engagiert sich bei den Dortmunder Jusos. 1974 kommt er als Vertreter des linken Flügels in den Bezirksvorstand. Und mit einem gewissen Gerhard Schröder sitzt er im Bundesausschuss der Parteijugend. Er gilt als großes politisches Talent. Auch die ersten Schritte von Butterwegges akademischer Karriere sind eng mit der Partei und ihrer Jugendorganisation verbunden: Der Marxist befasst sich in seiner Diplomarbeit sowie in seiner Dissertation von 1980 mit sozialdemokratischen Ein- und Aussichten. Sie trägt den Titel: »SPD und Staat heute«.

Zu diesem Zeitpunkt ist Butterwegge allerdings gerade parteilos - wider Willen. Denn 1975, fünf Jahre zuvor, war er wegen Linksabweichlertums aus der SPD ausgeschlossen worden. Den Rausschmiss hatte Hermann Heinemann betrieben, der mächtige Chef des SPD-Bezirks Westliches Westfalen und spätere nordrhein-westfälische Arbeits- und Sozialminister.

Wie der zwei Jahre später rausgeworfene Klaus Uwe Benneter, kann auch Butterwegge nicht von seiner Hassliebe SPD lassen. 1983 stellt er einen Wiederaufnahmeantrag; 1987 gibt die SPD seinem Begehren nach langem Hin und Her endlich statt. Wie im Fall Benneter hatte sich ein stark aufstrebender junger Sozialdemokrat aus dem Niedersächsischen besonders vehement für ihn eingesetzt: Gerhard Schröder. Butterwegge jedoch hat trotz seiner Wiederaufnahme in die SPD kein Interesse mehr an einer Parteikarriere. Er konzentriert sich auf seine wissenschaftliche Arbeit - auch wenn er sich immer wieder mit dezidiert linkssozialdemokratischen Positionen in politischen Debatten zu Wort meldet.

Jetzt geht Butterwegge also ein zweites Mal. Diesmal freiwillig. An guten Anlässen, der Partei den Laufpass zu geben, habe es schon in den vergangenen Jahren nicht gemangelt, räumt er ein. Als ein Beispiel nennt er die Beteiligung der rot-grünen Bundesregierung an dem für ihn völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien. Doch er habe die Hoffnung auf eine Wende zum Besseren, zum Linkeren einfach nicht aufgeben wollen: »Linke Sozialdemokraten haben immer auch Illusionen.« So habe er denn auch nach der Bundestagswahl auf eine »sozialdemokratische Selbstkritik nach der Ära Schröder« gehofft. Aber jetzt ist es für ihn endgültig genug. »Nicht wir bewegen uns weg, die SPD hat sich wegbewegt«, sagt Butterwegge geradezu trotzig.

Der Politikwissenschaftler und Armutsforscher geht nicht alleine. Mit ihm zusammen haben noch weitere 29 GenossInnen ihren Austritt erklärt - unter ihnen viele aus der heutigen Parteijugend, wie der Kölner Juso-Vorsitzende Klemens Himpele. In einer gemeinsamen Erklärung haben sie ihre Entscheidung damit begründet, dass die Politik der SPD der vergangenen Jahre gekennzeichnet sei »durch neoliberale Angebotspolitik, Sozialabbau und eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik«. Auch die neue Parteispitze zeige »keinerlei Bereitschaft«, hiervon abzurücken. So seien auch von der SPD nach der Ära Schröder »keine Impulse für fortschrittliche Politik zu erwarten.«

Butterwegge will nun erst einmal seine neu gewonnene Freiheit genießen - und vorerst parteilos bleiben. Die anderen hingegen haben zusammen mit zehn weiteren MitstreiterInnen bekannt gegeben, sich der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) anzuschließen.

Die Kölner Jusos reagierten auf den Abgang ihres bisherigen Chefs Himpele mit Bedauern und einer Pressemitteilung mit der Überschrift: »Für eine starke Linke in der SPD!« Darin verkündete die stellvertretende Juso-Vorsitzende Silke Weber: »Wir wollen die SPD langfristig wieder zu einer Partei mit sozialistischem Profil machen.« Ähnliche Träumereien hatte auch Butterwegge formuliert, damals vor dreißig Jahren. Der Traum ist ausgeträumt.

Der Artikel erschien zuerst in der tageszeitung vom 19. November 2005.