Private Universität vor dem Kollaps

Bisher galt Deutschlands erste Privatuniversität Witten/Herdecke als Musterhochschule. Nun droht der dortigen Humanmedizin das Aus, nachdem der Wissenschaftsrat erhebliche Mängel festgestellt hat. Von Julia Groth

»Die Medizinerausbildung kann in ihrer derzeitigen Form nicht fortgeführt werden. Die Universität Witten/Herdecke muss die Humanmedizin grundlegend neu konzipieren oder aber vollständig einstellen.« So lautet das vernichtende Urteil, das der unabhängige Wissenschaftsrat im Juli dieses Jahres fällte. Ein Schlag ins Gesicht nach all dem Lob, das die private Universität in den letzten Jahren bekommen hat.

Die Liste der Kritikpunkte ist lang: große inhaltliche Schwächen, kaum Forschung, nicht genügend Lehrpersonal, eine hohe Durchfallquote und die meisten StudienabbrecherInnen bundesweit. Hinzu kommt, dass die Universität Witten/Herdecke (UWH) keine eigene Universitätsklinik besitzt, sondern mit Krankenhäusern aus der Umgebung zusammenarbeitet - diese seien weder untereinander noch mit der Universität vernetzt. Mehr als genug Gründe für den Wissenschaftsrat, der UWH ein Aufnahmeverbot für neue MedizinstudentInnen anzudrohen, falls diese Schwächen nicht bis zum Sommersemester 2007 behoben sein sollten.

Das kann allerdings schwierig werden, denn für grundlegende Änderungen braucht die UWH mehr Personal. Und das kostet Geld, das die in den letzten Jahren chronisch unterfinanzierte Universität nicht hat. Die Förderung des Landes NRW in Höhe von 3,2 Millionen Euro, die zirka elf Prozent des gesamten Universitätshaushalts ausmachen, läuft im nächsten Jahr aus. Auch die Spenden- und SponsorInnengelder, mit denen die bis 1993 vollständig privat finanzierte Universität bisher über die Runden kam, fließen nicht mehr so reichlich wie vor zwanzig Jahren. Damals konnte die Bertelsmann-Stiftung als Großspenderin gewonnen werden, sie stellte ihre Zuwendungen allerdings zu Beginn dieses Jahres ein. Auch andere große Unternehmen wie beispielsweise die Deutsche Bank möchten sich nicht länger mit der Unterstützung für Witten/Herdecke schmücken.

Wolfgang Glatthaar, Präsident der UWH, hat scheinbar immer noch nicht erkannt, wie schlecht es um seine Universität steht. Er kann die Kritik des Wissenschaftsrats nicht nachvollziehen und hofft für die Rettung der Humanmedizin auf Vorschläge eines unverbindlichen Diskussionskreises von MedizinerInnen, von denen die meisten nur in Teilzeit für die UWH arbeiten. Matthias Schrappe, Dekan der Medizinischen Fakultät, arbeitet unterdessen an einem eigenen Konzept, das bis Frühjahr 2006 dem Wissenschaftsrat vorgelegt werden muss. Er will Witten/Herdecke zu einem »Zentrum für Versorgungsforschung« umbauen, anstatt die »Grundlagenwissenschaften« zu verbessern. Die StudentInnen sollen gemeinsam mit den umliegenden Krankenhäusern daran arbeiten, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse schneller als bisher ihren Weg in die Praxen der MedizinerInnen finden.

Sollte dies alles nicht helfen, steht es tatsächlich schlecht um die UWH. Gut ein Drittel der rund 1200 StudentInnen ist für die Humanmedizin eingeschrieben - sollte diese geschlossen werden, müsste die Hochschule Insolvenz anmelden. Da hilft dann auch nicht mehr, dass StudentInnen in der Regel für ein Studium 15000 Euro bezahlen.