Der Freund und der Fremde: Auf den Spuren von Benno Ohnesorg

Von Petra Thiemann

Benno Ohnesorg wurde am 2. Juni 1967 auf der Anti-Schah-Demonstration in Berlin durch einen Polizeibeamten grundlos erschossen. Die Tat, von der deutschen Rechtsprechung ungestraft, löste Empörung und Wut aus und wurde zum Zeichen für die Willkür einer autoritären Staatsmacht, zum Antrieb der AchtundsechzigerInnen.

Hinter der Symbolkraft, die sich fortan mit Benno Ohnesorgs Namen verband, verblasste jedoch die Erinnerung an seine Person. In seinem Buch Der Freund und der Fremde begibt sich Uwe Timm, der zwei Jahre lang mit Benno Ohnesorg intensiv befreundet war, auf Spurensuche - vor allem in seiner Erinnerung.

Dabei verbindet er die Geschichte einer Freundschaft mit einer sehr persönlichen und gleichzeitig differenzierten Innensicht der Achtundsechzige-Generation. Er schildert das Bedürfnis nach innerem und äußerem Aufbruch, das ihn und Ohnesorg dazu bewegte, Anfang der Sechzigerjahre das Abitur an einem Kolleg in Braunschweig nachzuholen. Timm, der mit dem festen Ziel, Schriftsteller zu werden, an das Kolleg kommt, lernt dort den introvertierten, manchmal scheuen und sehr empfindsamen Ohnesorg kennen. Sie werden Freunde. Als der Kontakt abreißt, hofft Timm, später von dem Schriftsteller Ohnesorg zu lesen.

Nach dem Abitur bricht Timm wieder auf, jetzt nach München und Paris. Seine Identitätssuche ist durchdrungen von der Haltung der »indifférence«. Wie die Hauptperson in Albert Camus' Roman Der Fremde, den er zusammen mit Ohnesorg gelesen hat, nimmt Timm in existentialistischer Manier die Welt wie ein Unbeteiligter wahr. Seine Beziehungen zu Frauen sind flüchtig, feste Bindungen lehnt er in jeder Hinsicht ab.

In der Bezugnahme auf Camus' »Fremden«, den Timm wie einen roten Faden immer wieder aufgreift, findet sich nur ein Aspekt des anspielungsreichen Romantitels Der Freund und der Fremde. »Fremd« blieb Ohnesorg nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für seine Frau, der er sein literarisches Schaffen nicht offenbarte, sowie für seinen Sohn, der erst nach Ohnesorgs Tod zur Welt kam. Auch Timm stellt immer wieder eindringliche Fragen, die nicht mehr beantwortet werden können. Warum verheimlichte Ohnesorg, dass er schrieb? Warum haderte er mit Timm, wie ihm Ohnesorgs Frau später mitteilte?

Timm meidet es, den mit Assoziationen belasteten Namen Benno Ohnesorg zu verwenden. Er nennt ihn stets »den Freund«, wodurch ein von Wut und Empörung unverstellter Blick möglich wird, der umso stärker betroffen macht. Der Freund und der Fremde ist ein bewegendes und zugleich kurzweiliges Buch, das die Gedanken der AchtundsechzigerInnen präsent und fühlbar werden lässt.

Uwe Timm: Der Freund und der Fremde, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005, 16,90 Euro.