»Eiserne Faust« statt »Silbernes Tor«

Noch bis ins Jahr 1994 vertrieb die türkische Regierung die EinwohnerInnen Dersims aus ihrer Stadt. In einer eigenen Hochschulgruppe kämpfen kurdischstämmige StudentInnen für eine Anerkennung des Unrechts. Von Verena Risse

Dort, wo früher die kurdische Stadt Dersim auf der türkischen Landkarte zu finden war, steht heute »Tunceli«. Der ursprüngliche Name der Stadt sollte aus der Geschichte ausradiert werden. Wie viele andere Regionen im Osten der Türkei war auch Dersim Opfer der Massaker im Jahr 1938. Die aufständische kurdisch-alevitische Bevölkerung sollte entwaffnet und »türkisiert« werden. Zwei Drittel der EinwohnerInnen Dersims leben heute im Exil, davon fast 10000 in Köln und Umgebung. So existiert auch an der Universität Köln eine Dersim-Hochschulgruppe. Für die zurzeit acht Mitglieder ist die Aufklärung über dieses dunkle Kapitel der türkischen Geschichte das wichtigste Ziel ihrer Arbeit. Hierfür veranstalten sie regelmäßig Vorträge, Diskussionsrunden und Kulturabende.

Die 1923 gegründete türkische Republik begann 1925 mit einer groß angelegten Vertreibungspolitik. Im Jahr 1938 drang türkisches Militär in Dersim ein und verübte ein Massaker an zehntausenden von Kurdinnen und Kurden. Die Überlebenden wurden in die Westtürkei deportiert. Noch im Jahr 1994 vertrieb die türkische Regierung Menschen aus der Region, nachdem es in den Siebziger- und Achtzigerjahren zu Militärputschen gekommen war. Von ehemals rund 250 Dörfern sind heute nur noch zwanzig bis dreißig übrig.

Elias von der Dersim-Hochschulgruppe erzählt, welche Spuren die Ereignisse bei den Überlebenden hinterlassen haben: »Im Volksmund sagt man: 1938 war ein Genozid, 1994 war eine Vernichtung.« Denn mit den Vertreibungen seien nicht nur die Menschen verschwunden, sondern auch ihre Sprache, ihre Religion und ihre Kultur. Tatsächlich ist die Zaza-Sprache, die traditionell in Dersim gesprochen wird, vom Aussterben bedroht und auch die alevitische Religion, eine liberale Form des Islam, sowie traditionelle Tänze können nur noch in begrenztem Rahmen ausgeübt werden.

Die Stadt Dersim, deren Name wörtlich übersetzt »Silbernes Tor« bedeutet, existiert heute offiziell nicht mehr. Sie wurde in Tunceli - türkisch für »Eiserne Faust« - umbenannt. Die EinwohnerInnenzahl in Tunceli sank von ehemals 200000 im Jahr 1994 auf heute zirka 60000.

In Europa werden die DersimerInnen meistens für TürkInnen gehalten, was Elias von der Dersim-Hochschulgruppe nicht verstehen kann. »Man kann die Trauer in ihren Gesichtern sehen und sie daher als Dersimer erkennen«, sagt er.

Diejenigen, die immer noch in Dersim leben, haben mit der dort herrschenden Arbeits- und Perspektivlosigkeit zu kämpfen. Ein funktionierendes Alltagsleben ist kaum mehr vorhanden, es gibt fast gleich viele EinwohnerInnen wie PolizistInnen und SoldatInnen, die am Tag die Stadt bewachen und in den Straßen patrouillieren.

Darüber hinaus leiden die DersimerInnen unter weiteren scheinbar unpolitischen Maßnahmen der türkischen Regierung. Hierzu zählt der Bau mehrer Staudämme für den Munzur-Fluss, durch den, davon sind die DersimerInnen überzeugt, regierungsnahe Baufirmen begünstigt werden. Sie befürchten, dass die Eingriffe in den natürlichen Wasserkreislauf die Natur schädigen und umliegende Wälder auf lange Sicht austrocknen.

Fragt man die Mitglieder der Dersim-Hochschulgruppe nach ihren Wünschen für die Zukunft, dann gelten diese nicht der Autonomie, welche die Region vor 1937 hatte. Ihnen geht es vielmehr um die Anerkennung ihres Status durch die türkische Regierung.

Weitere Informationen sind im Netz unter www.dersim.uni-koeln.de zu finden. Der Autor Haydar Isik hat in seinem Roman Die Vernichtung von Dersim das Massaker von 1938 beschrieben. Die Ausstellung Kunst des Orients mit Werken aus der Region ist noch bis zum 5. November in der Galerie Zeugma am Hansaring 149 zu sehen. (www.galeriezeugma.com)