Ladenstraßenfamilie

Auf der Suche nach der Identität: Von Buenes Aires bis Polen. Von Raphaela Häuser

»Die Läden beginnen sich zu verändern, ebenso wie meine Freunde. Aaron ist bereits Franzose geworden, Pedro Spanier und ich, ich werde bald ein Pole sein«, führt Ariel Makaroff, ein Dreißigjähriger auf Identitätssuche, die ZuschauerInnen in seine Welt ein. Die besteht im Wesentlichen aus einer heruntergekommene Ladenpassage im jüdischen Viertel von Buenos Aires, wo kleine HändlerInnen ein ruhiges Dasein fristen: Die aufreizende Rita betreibt ein Internetcafé, Osvaldo, der nie etwas verkauft, bewacht seine Schreibwaren, die italienische Familie schreit sich in der Radiowerkstatt an und ein scheues koreanische Paar vertreibt Feng-Shui-Artikel. Ariels Mutter betreibt das Wäschegeschäft »Creaciones Elias« - doch Elias ist seit fast dreißig Jahren nicht mehr da. Kurz nach Ariels Geburt verließ der Vater die Familie, um für Israel im Krieg zu kämpfen.

Der Stagnation in der Passage möchte der orientierungslose Ariel entkommen, indem er sich auf die Suche nach seinen Wurzeln macht. Warum der unbekannte Vater, den Ariel nur aus einem Amateurvideo kennt, die Familie verlassen hat, gilt es zu ergründen. Doch Mutter und Bruder scheinen sich nicht damit beschäftigen zu wollen. Und da Veränderung unweigerlich mit Aufbruch verknüpft zu sein scheint, möchte Ariel wie seine Freunde nach Europa auswandern. Für ihn heißt das Ziel Polen, aus dem seine Großmutter vor den Nazis geflüchtet ist. Ebenso wie der Rest der Familie schweigt sich die Großmutter jedoch über die Vergangenheit aus.

Fast scheint es so, als sei eine Veränderung in diesem Mikrokosmos ausgeschlossen, doch dann muss Osvaldo seinen Schreibwarenladen verkaufen und ein Unbekannter übernimmt das Geschäft. Bald stellt sich heraus, dass der neue Inhaber Elias ist, in dessen Darstellung die vergangenen Ereignisse anders klingen als in der Erinnerung der Mutter.

Regisseur Daniel Burman gelingt mit El abrazo partido ein einfühlsames und humorvolles Porträt eines beschaulichen, intakten Universums, dessen BewohnerInnen wie eine Familie zusammenleben ohne es zu merken. Burman porträtiert mit seinem Protagonisten Ariel zudem eine Generation, deren Sehnsucht es ist, aus dieser Welt aus- und in neue Gefilde aufzubrechen. Ein einfühlsamer Film über Vergangenheit und Zukunft, Stagnation und Veränderung und über die Wahrheit und die andere Wahrheit.

El abrazo partido, Argentinien 2004, Regie: Daniel Burman, DarstellerInnen: Daniel Hendler, Adriana Aizemberg, Jorge d'Elia. Kinostart: 21. Juli.