Taner Akcam: Armenien und der Völkermord

Von Andreas Bodden

Der in den USA lebende türkische Historiker Taner Akcam hat mit Armenien und der Völkermord einen Teil der Protokolle aus den Istanbuler Prozessen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bei den Prozessen vor einem Kriegsgericht in Istanbul waren Vertreter des »jungtürkischen« Regimes angeklagt, das von 1913 bis 1918 das Osmanische Reich regiert hatte. Bei den »Jungtürken« (offizielle Bezeichnung: Komitee für Einheit und Fortschritt) handelte es sich um eine nationalistische pantürkische Bewegung, die als Regierungspartei alle nichttürkischen Bevölkerungsteile im damaligen Osmanischen Reich massiv diskriminierte. Diese Politik gipfelte 1915 in dem Völkermord an den ArmenierInnen, dem schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Zunächst behandelt der Autor die historischen Hintergründe des Völkermordes. Er schildert die Entwicklung der jungtürkischen Bewegung bis zum Ersten Weltkrieg und ihre Regierungsübernahme. Die Entscheidung zum Völkermord traf das Zentralkomitee der »Jungtürken« im März 1915. Die ArmenierInnen waren der Sündenbock für die militärischen Niederlagen im Ersten Weltkrieg, an dem das Osmanische Reich an der Seite Deutschlands und Österreich-Ungarns teilnahm. Sie wurden pauschal der Kollaboration mit den Alliierten beschuldigt. Die zentrale Leitung aller antiarmenischen Maßnahmen lag bei der Führung der Partei »Einheit und Fortschritt«.

Bemerkenswert ist auch das Kapitel über die republikanische Nationalbewegung unter der Leitung von Mustafa Kemal Atatürk. Ihr Führungspersonal einschließlich Atatürk rekrutierte sich überwiegend aus ehemaligen Mitgliedern der Partei »Einheit und Fortschritt«. Sie vertrat auch eine ähnliche Ideologie. »Jungtürken«, die wegen des Völkermordes juristisch verfolgt wurden, fanden in den von den KemalistInnen beherrschten Gebieten Zuflucht.

Die Alliierten drängten nach dem Ersten Weltkrieg auf eine Auslieferung der am Völkermord Beteiligten. Die Regierung des Sultans in Istanbul führte statt dessen eigene Verfahren durch, denen sich die Hauptverantwortlichen jedoch entziehen konnten.

Das sehr lesenswerte Buch informiert über einen geleugneten bzw. verdrängten Teil der türkischen und auch der deutschen Geschichte. Es stellt außerdem Quellenmaterial in deutscher Sprache zur Verfügung.

Taner Akcam: Armenien und der Völkermord. Die Istanbuler Prozesse und die türkische Nationalbewegung, Hamburger Edition, Hamburg 2004, 16 Euro.