Erfolgreicher Untergang

Bernd Eichingers Film Der Untergang über die letzten Tage im Führerbunker ist auch ein geschichtspolitisches Ereignis, meint Jost Dülffer. Denn zurzeit würde auch anderweitig viel über deutsche Untergänge geredet. Von Patrick Hagen

Jost Dülffer ist Professor für Neuere Geschichte an der Kölner Universität. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte des Kalten Krieges. Für die philtrat sprach Patrick Hagen mit ihm über den Film Der Untergang und seine Wirkung in der Öffentlichkeit.

Herr Dülffer, Sie gehören zu den wenigen HistorikerInnen, die deutliche Kritik an Der Untergang geübt haben. Was hat Sie an dem Film gestört?

Ich will den Film selbst nicht kritisieren, ich bin kein Filmkritiker. Mir ist nur aufgefallen, dass dieser Film in einer Situation in Deutschland in die Kinos kommt, in der sehr viel von deutschen Untergängen die Rede ist: von Vertriebenen und von Bombenopfern. Das ist eine neuere Entwicklung, die es seit zwei, drei Jahren gibt. Hinzu kommt, dass dieser Film im Vorfeld in einem Ausmaß in der Öffentlichkeit gepusht worden ist, wie ich das noch selten bei einem historischen Spielfilm erlebt habe. Entscheidend war dabei die Stilisierung des Gezeigten als authentische Darstellung. Dieser Einklang von großen Teilen der Medienwelt - den Zeitungen, Rundfunkanstalten und dem Fernsehen - mit dem Film stimmt mich ein bisschen skeptisch.

Wie erklären Sie sich diese Übereinstimmung vor dem Hintergrund der jüngsten Auseinandersetzungen um die deutsche Vergangenheit?

Ich weiß nicht, ob Bernd Eichinger diesen Film für diesen Zeitpunkt inszeniert hat. Aber er trifft einen Punkt, an dem wir heftig über deutsche Bombenopfer und Vertriebene reden - die hat es gegeben und an die soll man sich auch erinnern, aber in Zusammenhängen. Der Film setzt in gewissem Sinne einen Schlussstein zu dieser Debatte. Die Deutschen, die Vertreibung, Krieg und Not erfahren haben, kriegen jetzt eine mögliche Erklärung dafür. Und die heißt: Auch der Führer war zuletzt am Ende und ein Opfer des Krieges, den er entfacht und gewollt hat. Letztlich bleiben auch die Täter nur noch als Opfer übrig - auch in der Reichskanzlei. Das erklärt aber nicht, welche Dimensionen die Verbrechen des Dritten Reichs hatten und wie es dazu kam. Insofern ist ein solcher Film ein politisches Ereignis, ein geschichtspolitisches Ereignis.

Die andere Sache ist, dass auch genug Schrecken aus der Bunkerperspektive gezeigt wird. Dadurch kann man natürlich auch etwas über das Grauen herausfinden, den das Dritte Reich und Hitler erzeugt haben. Insofern können manche Zuschauer durchaus etwas aus der NS-Zeit mitbekommen, was ihnen vielleicht neu ist.

Vielleicht aber auch im Sinne einer Entlastung von Schuld?

Das kann schon sein, dass diese Darstellung als Entlastung empfunden wird. Viele Leute haben gesagt, »Endlich erleben wir Hitler mal als normalen Menschen und nicht als Ungeheuer.« Nur: Meine Studentengeneration hat vor vierzig Jahren schon gesagt, die Darstellung Hitlers als Ungeheuer reicht nicht aus. Das wurde ja auch bereits in einer Vielzahl von Büchern erörtert.

Zum Schluss des Films formuliert die Hitler-Sekretärin Traudl Junge auch explizit eine Entlastungsstrategie, indem sie behauptet, sie hätte von den nationalsozialistischen Verbrechen nicht alles gewusst. Und wenn selbst Hitlers Sekretärin das nicht so genau gewusst hat, wie viel weniger kann der Rest der Deutschen etwas darüber gewusst haben?

Dürfen Täter jetzt einmal nur Opfer sein, ohne dass von ihrer Täterschaft geredet wird?

Man muss nicht bei jeder erzählerischen Behandlung des Nationalsozialismus immer aus der Perspektive der deutschen Schuld vorgehen. Ich sehe auch nicht, dass die Deutschen oder Hitler und seine Kumpanen in dem Film nur Opfer sind. Aber diese Perspektive liegt nahe und kann dem Film in der Tat entnommen werden. Deutsche Schuld kommt zwar auch in diesem Film vor, aber sie wird nicht erklärt, sondern nur von ihrem Ende her betrachtet. Und das Ende erklärt sehr wenig. Das Ende ist eine tragische Angelegenheit, in der man dem Zuschauer zwar sehr viele Leichen zeigt, aber drei Tote nicht: nämlich nicht Adolf Hitler, nicht seine Ehefrau und nicht Joseph Goebbels. Kleine Leute werden in ihrem Tod gezeigt, die ganz großen nicht.

Eichinger hat gesagt, er möchte einfach nur erzählen und nicht kommentieren. Aus seiner Sicht ist Der Untergang wertfrei.

Man kann natürlich nicht, wie Eichinger das sagt, die Wirklichkeit 1:1 medial abbilden. Und insofern ist der Film eine Zuspitzung, über die dem Publikum klargemacht wird: »So ist es damals passiert«. Eichinger wählt natürlich auch aus und inszeniert aus einem bestimmten Blickwinkel. Er tut das überlegt, zum Teil sogar differenziert, mit ausgezeichneten Schauspielern. Aber es ist eben eine ganz bestimmte Sicht und deswegen kann man mit diesem Anspruch für einen Film werben, aber es ist zutiefst unehrlich.

Und sehen Sie sich den Titel an: Der Untergang. Da steht nicht einmal, wer eigentlich untergeht. Die Deutschen insgesamt? Oder eine bestimmte kleine Führerclique? Bei Joachim Fests Buchvorlage steht wenigstens noch »Hitler und das Ende des Dritten Reiches« im Untertitel. Für Leute, die der Thematik zum ersten Mal begegnen, ist das schwierig zu unterscheiden. Die Perspektive vom Ende auf den Anfang macht vielleicht neugierig, aber erklärt nichts.