Stiefel in Mülltüten

Zirka 150 Neonazis zogen am 16. Oktober unter dem Motto »Multi-Kulti? Nicht mit uns!« durch Köln-Kalk. 1500 Menschen protestierten gegen den Aufmarsch, 500 wurden von der Polizei eingekesselt. Von Volker Elste, André Trentzsch

Die Kölner Polizei hatte sich eine ganz besondere Taktik zum Umgang mit dem neonazistischen Aufmarsch am 16. Oktober in Köln-Kalk zurechtgelegt. Den TeilnehmerInnen wurde im Vorfeld das Tragen von Uniformen, Bomberjacken, Springerstiefeln und NS-Symbolen untersagt. Da sich zahlreiche DemonstrantInnen - zumeist aus dem Umfeld der »Freien Kameradschaften« - nicht an das Verbot hielten, mussten sie zunächst ihre Stiefel in blaue Mülltüten stopfen und diese dann in der Hand mit auf die Strecke nehmen. Auf seinem Weg durch Kalk war der Mülltütenzug dann nicht nur dem schlechten Wetter ausgesetzt, sondern auch jeder Menge Obst und Gemüse, das AnwohnerInnen auf ihn niederprasseln ließen.

Bereits um zehn Uhr morgens hatten sich etwa 1500 Menschen versammelt, um gegen den Nazi-Aufmarsch zu demonstrieren. Aufgerufen hatte »Kalk stellt sich quer«, ein breites Bündnis verschiedener Initiativen. Während die Neonazis vom »Nationalen Widerstand« bundesweit mit der von der Polizei später untersagten Parole mobilisierten »180 Nationen leben in Köln, das sind 179 zuviel«, ist man hier der Meinung, jeder Nazi sei ein Nazi zuviel.

Nach den Plänen der Polizei soll die Demonstration ausgehend von der Haltestelle Kalk-Kapelle nur rund fünfhundert Meter die Kalker Hauptstraße hinab ziehen. Aber es kommt anders: Die DemonstrantInnen weichen in eine Seitenstraße aus und liefern sich ein Wettrennen mit der Polizei. Am Ende sind sie genau da, wo sie die Polizei überhaupt nicht haben will: ganz nah an der Kalker Post, dem Startpunkt des Naziaufmarsches.

Gegen Mittag kommen dann die Nazis, angeführt von dem bekannten Hamburger Neonazi Christian Worch und dem Bergheimer »Kameradschaftsführer« Axel Reitz. Doch rund 25 GegendemonstrantInnen gelingt es, die Nazis etwa zehn Minuten aufzuhalten. Danach wird der Naziaufmarsch von AnwohnerInnen mit Eiern und Gemüse beworfen. Ihre ursprünglich geplante Kundgebung sagen die Nazis ab. Gegen 17 Uhr fahren Sie nach Hause. Auch die Gegendemonstration löst sich auf. Zum Abschluss appelliert Özgür Demirel von der PDS/Offenen Liste an die TeilnehmerInnen, sich weiterhin gegen Rechts zu engagieren und das nächste Mal auch die NachbarInnen mitzubringen.

Zu diesem Zeitpunkt befinden sich fünfhundert AntifaschistInnen seit Stunden in einem Polizeikessel. Erst nach dem Abzug der Neonazis und der Feststellung der Personalien können zirka vierhundert von ihnen den Kessel verlassen. Während die Polizei ihr Verhalten und die vorübergehende Festnahme von 28 Personen damit rechtfertigt, sie habe die Auftaktkundgebung schützen müssen, wurde der massive Polizeieinsatz von Claus Ludwig, Ratsherr für das Bündnis gegen Sozialraub, »aufs Schärfste verurteilt.« Er habe den Eindruck, teilte Ludwig in einer Presseerklärung mit, die Polizei habe »Ausschreitungen« provozieren wollen, um den massiven Einsatz nachträglich rechtfertigen zu können.

Entsprechend brachte das Bündnis gegen Sozialraub einen Antrag in die Ratssitzung vom 4. November ein, der das Vorgehen der Polizei verurteilte. Dieser wurde im Rat jedoch mehrheitlich abgelehnt und an den Polizeibeirat verwiesen.