Ich brauche keine Müllionen...

... mir fehlt kein Pfennig zum Glück? Denkste. Der Prozess gegen die Verantwortlichen im Kölner Korruptionsskandal hat begonnen. Und droht wegen Fehler der Staatsanwaltschaft gleich wieder zu platzen. Von Pascal Beucker

Ein Hauch deutscher Amtsstube weht durch den Raum. Ulrich Eisermann weiß, wie er es sich heimelig macht. Alles muss seine Ordnung haben, das hat er bei der Kölner Stadtverwaltung gelernt. Beinahe liebevoll zieht der Sechzigjährige seine in Pergamentpapier eingewickelte Vollkornstulle aus der schwarzen Aktentasche, holt noch einen Apfel und eine Banane heraus und drapiert sein kleines Fresspaket kunstvoll vor sich auf dem Tisch. Seinen mitgebrachten blauen Ikea-Plastikbecher füllt er mit Mineralwasser. Ja, der frühere Leiter des städtischen Hauptamts und spätere Geschäftsführer der städtischen Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft AVG geht stets gut vorbereitet in die Verhandlungstage.

Das soll also die Schlüsselfigur in den schmutzigen Kölner Müllgeschäften sein? Der, der die Fäden beim Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage (MVA) und auch noch danach zog, dabei wie eine Spinne im Netz nur auf die nächste »Provision« wartend? Der, der sich mit seinen Kumpanen vom Korruptionskartell mit Vorliebe in Luxus-Restaurants traf und die abkassierten Euromillionen im Sportwagen versteckte? Auch wenn es bei seinem Anblick im Gerichtssaal kaum zu glauben ist: Dieser Inbegriff des deutschen Bürokratismus und der schillernde Millionen-Uli sind tatsächlich ein und dieselbe Person.

Seit nunmehr rund fünf Monaten läuft inzwischen der Müllskandalprozess vor der 14. Großen Strafkammer des Kölner Landgerichts. Es geht um gut elf Millionen Euro Schmiergelder, die in den Neunzigerjahren beim Bau der knapp 405 Millionen Euro teuren MVA in Köln-Niehl geflossen sind. Der Großteil des Geldes soll an Eisermann gegangen sein. Vor Gericht verantworten müssen sich ferner der frühere Kölner SPD-Ratsfraktionschef Norbert Rüther und Sigfrid Michelfelder, Ex-Manager des Gummersbacher Anlagenbauers Steinmüller. Ihnen wird Bestechung, Bestechlichkeit, Untreue sowie Beihilfe zu diesen Straftaten vorgeworfen.

Die Verfahren gegen den Viersener Müllunternehmer Hellmut Trienekens und den sozialdemokratischen Strippenzieher Karl Wienand, die ebenfalls der Beteiligung am Schmiergeldkartell beschuldigt sind, wurden abgetrennt. Ob gegen sie aufgrund ihres ärztlich attestierten schlechten Gesundheitszustandes jemals verhandelt werden wird, ist völlig offen. Was gerade in Bezug auf Trienekens mehr als bedauerlich ist: Denn die Geschäfte des Christdemokraten liefen nicht nur in Köln wie geschmiert. So attestierte eine Antikorruptionskommission der NRW-Landesregierung dem einstigen Müllmogul, »ein flächendeckendes Netzwerk der Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger« aufgebaut zu haben.

Nach über dreißig Verhandlungstagen ist der Kölner Müllskandalprozess inzwischen in die Schlusskurve gebogen. Denkbar, dass im Mai die Urteile gefällt werden. Wenn der Prozess nicht vorher platzt. Denn Ende März sorgte die Staatsanwaltschaft für einen handfesten Eklat: Sie musste dreißig Umzugskartons voll Beweismittel nachreichen, die sie bis dahin zurückgehalten hatte. Etliche der Akten seien entgegen der Ansicht der Anklagebehörde »beweiserheblich«, befand der Vorsitzende Richter Martin Baur. Die Konsequenz: Etwaigen Aussetzungsanträgen der VerteidigerInnen zur Sichtung des Materials wäre stattzugeben. Dann müsste die Verhandlung aufgrund der Aktenmenge länger als dreißig Tage ausgesetzt werden - was die gesetzlich vorgeschriebene Frist für eine Fortsetzung überschreiten würde. Der Prozess müsste neu begonnen werden.

Brisant ist der wundersam aufgetauchte Aktenberg aufgrund von Vorwürfen, die Anklagebehörde habe wichtige Beweismittel bewusst nicht in die Prozessakte aufgenommen, um zu verhindern, dass die Glaubwürdigkeit Ulrich Eisermanns erschüttert wird. Denn der Ex-Sozialdemokrat ist nicht nur Angeklagter - er ist auch der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft: Auf seinen Aussagen beruht vollständig die Anklage gegen Kölns Ex-SPD-Fraktionschef Norbert Rüther und nicht unerheblich auch die gegen Sigfrid Michelfelder, den Ex-Manager des Gummersbacher Anlagenbauers Steinmüller. So behauptet Eisermann, von seinem Schwarzgeldkuchen 1,2 Millionen Euro an Michelfelder und eine Million Euro an Rüther weitergegeben zu haben. Michelfelder räumt nur die Annahme von einer Million Mark ein. Im Gegensatz zu Michelfelder bestreitet Rüther vehement, überhaupt Geld von Eisermann bekommen zu haben. Die 400000 Euro an illegalen Parteispenden, die er als »Danke-schön-Spenden« für die Kölner SPD einsammelte, hat er zwar eingestanden, sie sind jedoch nicht Bestandteil der jetzigen Anklage.

Entscheidend ist die Frage, ob Eisermann glaubwürdig ist. Sagt er die Wahrheit oder hat er vielleicht seine beiden Mitangeklagten nur belastet, um so wenigstens doch noch einen »kleinen« Rest aus seinem Schmiergeldanteil vor dem Zugriff der ErmittlerInnen zu retten? Auf jeden Fall ist er ein großer Geschichtenerzähler. Denn im Gegensatz zu den Aussagen seiner Mitangeklagten haben seine Ausführungen über die große, weite Schmiergeldwelt und das kleine kölsche Polit-Biotop, die er stets mit finsterer Miene und ruhiger Stimme detailreich wie launig zum Besten gibt, einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert. Dazu gehört, dass der graue Bürokrat einen Hang zur bunten Sprache hat. Da erscheint der Ex-Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes als »die Diva von der Zeughausstraße«. Aus Mitabzocker Karl Wienand, zu Willy Brandts Zeiten parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, wird das »Karlchen«, der immer viel »vor allem aus der Historie« erzählt habe. Dem seinerzeitigen AVG-Mitgesellschafter Trienekens bescheinigte Eisermann »ein bisschen die Menschenfischerart von Herrn Rau«. Und über Kölns umtriebigen wie gedächtnisschwachen Ex-Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier wusste Eisermann zu berichten: »Zwischen ihm und dem lieben Gott waren nur maximal drei Millimeter Luft - ich weiß nur nicht, ob nach oben oder unten.«

Geradezu akribisch erinnert er sich zudem an Treffen und Verhandlungen mit den diversen »Häuptlingen« von Parteien und Unternehmen in Gaststätten und Hotels mit Namen wie Zum Storchen oder Zur roten Lerche. Und geradezu genüsslich lässt er immer wieder geschickt zwischendurch den einen oder anderen mehr oder weniger prominenten Namen fallen. Die schlichte Botschaft, die Eisermann dem Gericht vermitteln will: Die Politik ist verdorben. Und die Wirtschaft auch. Ein skrupelloser Abkassierer, der sich als edler Ritter erscheinen lassen will, der sich lange tapfer den Feuer speienden Drachen entgegenwarf, bis er letztlich doch in den Flammen umkam: »Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Wirtschaft mit solchen Provisionszahlungen gehandelt wurde, ließ mich kapitulieren.«

Die Selbstgerechtigkeit, mit der Eisermann seine Anekdoten über die böse Politik und den guten Amtmann präsentiert, ist beeindruckend. Nur mit der Realität hat das nicht unbedingt viel zu tun: Als »Raubritter« und »Wegelagerer« bezeichnete Michelfelder zutreffend seinen Kumpanen bei der staatsanwaltlichen Vernehmung. Denn der Hobby-Jäger muss im Müllionenspiel schier unersättlich gewesen sein: ein gnadenloser Abzocker, der genommen hat, wo immer er hat nehmen können. Nicht nur die geschmierten fünf Millionen Euro von Steinmüller steckte er bedenkenlos ein, er ließ sich darüber hinaus auch noch während und nach seiner Zeit als AVG-Geschäftsführer mit unzähligen wohldotierten »Beraterverträgen« nicht nur von diversen Trienekens-Gesellschaften voll stopfen. Sie bescherten ihm zusätzlich zu seinem fürstlichen AVG-Gehalt weitere monatliche Einnahmen von bis zu 50000 Euro.

Folgt das Gericht der Zwischenbilanz, die Richter Baur Anfang April zog, können alle drei Angeklagten darauf hoffen, glimpflich davonzukommen. Während Rüther nach derzeitigem Stand sogar mit einem Freispruch rechnen kann, käme Michelfelder mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren, einer Geldauflage von einer Million Euro sowie einer Geldstrafe davon. Für den Hauptangeklagten Eisermann bliebe eine Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten - wahrscheinlich als Freigänger. Die Staatsanwaltschaft bezeichnete die in Aussicht gestellten Urteile angesichts der Schwere der Tatvorwürfe als »unangemessen und nicht vertretbar«.

Pascal Beucker ist Korrespondent der taz in Nordrhein-Westfalen.