Die Geschichte der Tour de France: Lieber tot als Zweiter

Von Raphaela Häuser

Seit dem 5. Juli fährt sie zum 100-jährigen Jubiläum in die 90. Runde: die rollende Reiseapotheke auf Frankreichs Landstraßen. Nicht alle Helden tragen Gelb. Die Geschichte der Tour de France von Ralf Schröder und Hubert Dahlkamp beleuchtet gut recherchiert und detailliert Geschichte und Hintergründe der grande boucle.

Wer weiß schon, dass die Tour-Chefs des Öfteren die Streckenführung auf den aussichtsreichsten französischen Fahrer zuschnitten, weil ständig die Belgier gewannen? Dass bereits zu Beginn des Jahrhunderts gedopt wurde, was das Zeug hielt, sei es mit Alkohol, Amphetaminen oder Kokain und dass die Einnahme von leistungssteigernden Mittelchen anfangs nicht einmal verboten war? 1997 gaben im Rahmen einer Umfrage sogar über die Hälfte der Leistungssportler an, dass sie dopen würden, »wenn es die Garantie gäbe, fünf Jahre lang nicht erwischt zu werden und jeden Wettkampf zu gewinnen, danach aber an den Nebenwirkungen der Präparate sterben zu müssen.«

Der vorliegende Band von Schröder und Dahlkamp berichtet dankenswerterweise nicht nur über die Radsport-Ikonen und die Schlaglichter der Tour: Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain sind wohl allen ein Begriff. Und dann gibt es noch die ewig Zweiten, die tragischen Gestalten der Tour: Raymond Poulidor, der nie eine Tour gewann und nie im gelben Trikot fuhr aber dennoch eine der größten französischen Radsportlegenden war. Oder Renè Vietto, der 1934 die Tour hätte gewinnen können, aber seinem Mannschaftskapitän Antonin Magne, dessen Hinterrad verbogen war, sein Rad überließ. Auch der Radsportrebell Henri Pélissier, der als Erstplatzierter bei der Tour 1924 aus Protest gegen die Rennleitung ausstieg und Ottavio Bottecchia, der Gesamtsieger des Jahres 1925, der als überzeugter Sozialist und Antifaschist die Interviews nutzte, um sich zu sozialpolitischen Themen zu äußern, finden ihren Platz.

Im ersten Teil des Buches werden für jedes Jahr der Rundfahrt die wichtigsten Ereignisse, Wertungen und das Streckenprofil vorgestellt. Im folgenden widmen sich die Autoren einigen Aspekten der Tour genauer: In eigenen Kapiteln werden unter anderem die Tour und ihre Berge, das Dopingproblem, die Entwicklung der Fahrradtechnik, die Tour de France der Frauen und die drei Tour-Chefs und ihre Eigenheiten beleuchtet. Den Schluss bildet eine Zusammenstellung von Kurzbiografien der wichtigsten Radrennprofis aus hundert Jahren Tour de France und eine ausführliche Rennstatistik. Schade nur, dass kein Platz blieb, einmal das Reglement der Tour zu erklären. Auch die Geschichte der verschiedenen Trikots und deren wechselnde Sponsoren werden nicht erwähnt.

Wer allerdings von diesem Buch die ARD-typischen Anekdoten rund um die Tour erwartet, kommt nicht auf seine Kosten: Nicht alle Helden tragen Gelb beschränkt sich auf das, was tatsächlich belegt ist. Alles in allem eher ein Buch für eingefleischte Tour de France-Fans, aber wer ist das eigentlich nicht?

Ralf Schröder, Hubert Dahlkamp: Nicht alle Helden tragen Gelb. Die Geschichte der Tour de France, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2003, 24,90 Euro.