Mit 16 schon gescheitert

Sweet Sixteen: Der neue Film des britischen Regisseurs Ken Loach Von Andreas Bodden

Liam steht kurz vor seinem 16. Geburtstag. »Süß« ist daran nichts. Der Titel Sweet Sixteen des neuen Films von Ken Loach ist ironisch, fast schon sarkastisch. Liams Mutter sitzt im Knast. Das hat sie ihrem aktuellen Freund zu verdanken, einem Kleinkriminellen, der es gern hat, wenn andere den Kopf für ihn hinhalten. Liam hält sich inzwischen mit allerlei windigen Jobs über Wasser. Er nimmt beispielsweise von den Nachbarskindern Geld, damit sie durch sein Teleskop gucken dürfen, wobei er betrügt. Das ist die harmlosere Variante. Später fängt er an, mit Drogen zu handeln, und kommt schnell ziemlich groß ins Geschäft. Er steigt auf und wird zum Vertrauten des örtlichen Gangsterbosses.

All das macht er, um seine Mutter zu retten, die sich aber gar nicht helfen lassen will. Da ist er noch ganz Kind und versteht nicht, dass er niemandem helfen kann, weder sich selber noch seiner Mutter, noch seiner Schwester, noch seinem besten Freund, den er verliert. Ebenso wenig ist er in der Lage, eine Liebesbeziehung einzugehen, obwohl er die Möglichkeit dazu hat. Zum Teil scheint dies allerdings auch eine Schwäche des Drehbuchs zu sein, das die sich entwickelnde Liebesgeschichte in der Mitte des Films einfach fallen lässt. Am Schluss ist Liam völlig allein. Noch keine 16, mit Erfahrungen, die manch einer mit 60 noch nicht gemacht hat, scheint er schon gescheitert: »Sweet Sixteen«.

Der Film ist eine realistische Milieu-Studie. Da hält jemand die Kamera hin und sagt: »Seht her, so ist es.« Wie meistens, hat Ken Loach auch hier wieder mit LaiendarstellerInnen gearbeitet. Im Unterschied zu anderen Filmen von Loach sind die Figuren in Sweet Sixteen differenziert und glaubwürdig gezeichnet. Revolutionäre Emphase wie in Land and Freedom oder Klassenkampfpathos wie in Bread and Roses oder The Navigators fehlen in diesem Film völlig. Das scheint gleichzeitig ein guter Schutz gegen allzu holzschnittartig gezeichnete Figuren zu sein. Trotzdem macht gerade die Nüchternheit des Films die Notwendigkeit des Klassenkampfes deutlich.

Ken Loach ist der exponierteste Vertreter derjeningen britischen FilmemacherInnen, die sich vorwiegend mit der ArbeiterInnenklasse beschäftigen. Dass bei den meisten dieser Filme weder lähmende Betroffenheit aufkommt noch romantisierender Sozialkitsch verbreitet wird, mag in der BRD verwundern, wo beides nur allzu häufig der Fall ist - wenn sich überhaupt mal jemand an das schwierige Genre des sozialkritischen Films wagt. Sein heutzutage nach wie vor unpopulärerer Mut zur Sozialkritik macht Loachs Filme sehenswert. Das gilt speziell für Sweet Sixteen, wenn dessen Ende auch zu pessimistisch geraten sein mag.

Sweet Sixteen, GB 2002, Buch: Paul Laverty, Regie: Ken Loach. Mit Martin Compston, William Ruane, Annmarie Fulton u.a. In der BRD seit dem 26. Juni 2003 in den Kinos.