Paranoia oder Realität?

19. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz Von Torben Strausdat

21874 Anordnungen zur Telefonüberwachung im Jahr 2002 sind der traurige Höhepunkt staatlicher Überwachung in Deutschland. Damit habe sich die Zahl seit 1995 verfünffacht, berichtet der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacobs, im 19. Tätigkeitsbericht für die Jahre 2001 und 2002. Eine nachvollziehbare, befriedigende Erklärung dafür gebe es nicht. Solch umfangreiche Eingriffe in die Grundrechte seien weder effizient noch notwendig. So warnt der oberste Datenschützer vor der schleichenden und fast unbemerkten Zunahme einer Überwachungskultur in Deutschland.

Die Frage nach der Effizienz stellt Jacobs auch bei der Rasterfahndung, die nach dem 11. September 2001 in Deutschland durchgeführt wurde. Zwar habe seine Prüfung ergeben, dass rechtlich nichts gegen die Sammlung und Auswertung der Daten beim BKA einzuwenden sei. Dennoch kritisiert er, dass die Auswertung erst im Frühjahr 2003 abgeschlossen werden konnte und die Daten zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht gelöscht waren. In Anbetracht der langen Auswertungszeit und des mangelnden Ergebnisses stellt er die Maßnahme als solche in Frage. Im Rahmen dieser Rasterfahndung waren in Nordrhein-Westfalen unter anderem die Daten aller männlichen Studenten bis zum Alter von vierzig Jahren vom Polizeipräsidium Düsseldorf bei den Hochschulen angefordert und an das BKA weitergeleitet worden.

Erhebliche Bedenken äußert der Datenschutzbeauftragte auch gegen die zunehmende Verwendung des genetischen Fingerabdrucks. Er kritisiert vor allem die Praxis, bei Einwilligung von Betroffenen auch ohne richterliche Entscheidung DNA-Analysen und Speicherungen für Zwecke künftiger Strafverfahren durchzuführen. Für die in der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit Sexualstraftaten bekannt gewordenen DNA-Massentests fordert Jacobs eine gesetzliche Grundlage. Insgesamt seien in der seit fünf Jahren betriebenen DNA-Analysedatei 250000 Personendatensätze gespeichert. Gegen die Ausweitung des Straftatenkatalogs, der die Straftaten aufzählt, bei denen die Feststellung des genetischen Fingerabdrucks erlaubt sein soll, äußert er erhebliche Bedenken. Eine vorsorgliche Erhebung und Speicherung der DNA-Identifizierungsmuster aller BürgerInnen oder aller Männer, wie von einigen gefordert wird, hält er sogar für »verfassungsrechtlich abstrus«.

Außerdem fordert Jacobs ein Verbot der unbefugten Genomanalyse. Ob im Zusammenhang mit der Feststellung von Kindschaftsverhältnissen, Abschluss von Versicherungen, Einstellungen und Kündigungen im Arbeitsleben, überall sei die Nutzung von Gentests denkbar und werde bereits praktiziert. Es müsse hier eine rechtliche Regelung inklusive strafrechtlicher Verfolgung bei Missbrauch und Verletzung des Kernbereichs der Persönlichkeit geschaffen werden, so Jacobs.

Weitere Punkte seiner Kritik sind der Gläserne Kunde und der Gläserne Bürger im Internet. Die technologische Entwicklung und der rasant wachsende Bestand von personenbezogenen Daten auf allen Gebieten verbunden mit immer besseren Möglichkeiten, zu ausgefeilten Profilbildungen zu gelangen, dürften nicht zur Aufweichung datenschutzrechtlicher Positionen führen, so der Datenschutzbeauftragte des Bundes, dessen 19. Tätigkeitsbericht der fünfte und letzte in seiner Amtszeit ist.

Genauere Informationen sind erhältlich unter www.datenschutz.bund.de. Ebenfalls in der ersten Jahreshälfte erschienen ist der Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten für den Datenschutz in Nordrhein-Westfalen Bettina Sokol. Informationen sind im Netz unter www.lfd.nrw.de zu finden.