Schläger in Uniform vor Gericht

Vor einem Jahr wurde der Stefan Neisius von Polizisten misshandelt und starb. Nun steht der Prozess gegen die Beamten an. KritikerInnen sehen ein strukturelles Problem der Polizei. Von Torben Strausdat

Am 24. Mai 2002 starb der 31-jährige Stefan Neisius an den Folgen brutaler Misshandlungen. Die Täter waren Polizisten, der Tatort die Wache am Eigelstein. Köln hat einen ausgewachsenen Polizeiskandal. Der damalige Leiter der Innenstadtwachen, Polizeidirektor Jürgen Sengespeik, wurde kurz vor seiner Pensionierung strafversetzt, weil er PolizistInnen trotz zahlreicher gewaltsamer Übergriffe beste Zeugnisse ausgestellt hatte. Im Juni beginnt der Prozess gegen die Täter.

Die Meldung eines Nachbarn wegen nächtlicher Ruhestörung am 11. Mai letzten Jahres wurde Stefan Neisius zum Verhängnis. Polizisten kamen in das Haus in der Roonstraße und ließen sich von einem Nachbarn erklären, dass Neisius in seiner Wohnung randaliere. Er mache sich Sorgen um dessen Mutter, die ebenfalls in der Wohnung wohne. Die Polizisten zögerten nicht lange und brachen die Wohnungstür auf. Die Mutter saß seelenruhig im Wohnzimmer vor dem Fernseher; für sie bestand also keine Gefahr. Neisius floh in sein Zimmer. Doch obwohl den Polizisten bekannt war, dass er psychische Probleme hatte, wurde keinE ÄrztIn hinzugezogen. Auf brutale Weise drangen die Beamten in sein Zimmer ein, warfen ihn zu Boden und fesselten ihn.

Auf dem Weg nach draußen ging im Treppenhaus angeblich das Licht aus, sodass der Festgenommene unglücklich gestürzt sein soll. Der Polizeitransporter brachte ihn dann zur Wache am Eigelstein, die durch Berichte von Obdachlosen, AusländerInnen und Randgruppen schon länger für gewaltsame Übergriffe bekannt ist. Funkprotokolle belegen, dass die zur Wache fahrenden Polizisten dort ein »Empfangskomitee« anforderten. So wurde Neisius in die Wache getragen und schon im Eingangsbereich mit Fußtritten und Schlägen empfangen. In einer Zelle der Wache sollen die Misshandlungen fortgesetzt worden sein. Später brachten ihn Beamte in ein Krankenhaus, um dort eine Blutprobe zu erhalten. Die zuständige Ärztin nahm dem misshandelten Opfer Blut ab, während ein Polizist im Rücken des auf dem Boden Liegenden kniete. Offensichtlich ging es in diesem Moment nicht um die Behandlung seiner Verletzungen. Im Krankenhaus fiel der 31-jährige plötzlich ins Koma, aus dem er bis zu seinem Tod 13 Tage später nicht mehr erwachte.

Es ist einer Polizistin und ihrem Kollegen zu verdanken, dass Details über die Vorgänge auf der Eigelsteinwache bekannt geworden sind. Sie hatten die Misshandlungen beobachtet und machten tags darauf Meldung bei ihren Vorgesetzten. Darauf erhielten sie selbst eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung. Laut Ermittlungsakten waren sie auch die ersten, die von den ErmittlerInnen vernommen wurden. Es gibt Spekulationen, dass sie über die Hilfskonstruktion, als Beschuldigte nicht aussagen zu müssen, mundtot gemacht werden sollten. Doch die beiden BeamtInnen blieben bei ihren Aussagen und brachten so gegen den bekannten Korpsgeist unter PolizistInnen Ermittlungen gegen sechs ihrer Kollegen ins Rollen. Gegen einige der Angeschuldigten hatte es schon in der Vergangenheit zahlreiche Beschwerden wegen Misshandlungen und Übergriffen im Amt gegeben. Doch ihr Vorgesetzter Sengespeik hatte alle Vorwürfe erfolgreich abgewehrt. Als das ans Licht kam, wurde er kurz vor seiner Pensionierung im letzten Jahr strafversetzt. Das Ermittlungsverfahren gegen die beiden aussagenden PolizistInnen wurde inzwischen eingestellt.

Im Rahmen der Ermittlungen wurde ein gerichtsmedizinisches Gutachten in Auftrag gegeben. Dies wurde vom zuständigen Kriminalkommissariat und der Staatsanwaltschaft dahingehend interpretiert, dass Neisius nicht aufgrund der Misshandlungen gestorben sei. So wurde nur eine Anklage wegen Körperverletzung gegen die sechs Polizisten vorbereitet. Die AnwältInnen der Familie, die als Nebenklägerin auftritt, erreichten jedoch eine Neubewertung des Gutachtens. Dabei half wohl auch der Wechsel der Zuständigkeit an eine andere Staatsanwältin, die nun Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge erhob.

Laut Gutachten starb Neisius an einer Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff. Hervorgerufen wurde diese Unterversorgung durch einen erhöhten Bedarf aufgrund der Stresssituation, in die er durch die Misshandlungen geraten war. Das wiederholte Knien auf seinem Körper und die Fesselung machte es ihm wohl unmöglich, genug Luft zu bekommen. Die Misshandlungen waren unter anderem durch einen Schuhabdruck in seinem Gesicht deutlich zu erkennen.

Nachdem im letzten Mai über fünfhundert aufgebrachte Menschen vor der Eigelsteinwache demonstriert hatten, gab es am ersten Todestag von Stefan Neisius am 24. Mai eine weitere Demonstration gegen Polizeigewalt, an der sich dreihundert Menschen beteiligten. Die VeranstalterInnen bezeichnen gewaltsame Übergriffe durch die Polizei als strukturell bedingt und nicht als Einzelfall. Politische Hetze gegen Randgruppen, rassistische Ermittlungskriterien auf Basis einer restriktiven AusländerInnengesetzgebung und ein seit Jahrzehnten andauernder Ausbau der Eingriffsbefugnisse beförderten extreme Ausfälle von PolizeibeamtInnen im Dienst. Neisius sei Opfer einer solchen Struktur geworden. Er habe sich nicht konform genug verhalten, er war nicht reich. Doch im Gegensatz zu einem unbekannten Mann, der am 11. März 2003 bei einem gewaltsamen Polizeieinsatz in Köln ums Leben kam, hat Stephan Neisius Freunde und eine Familie, die dafür sorgen, dass sein Tod Konsequenzen hat.

Der Prozess gegen die sechs angeklagten Polizisten beginnt am 26. Juni um 9.15 Uhr in Saal 210 des Kölner Landgerichts in der Luxemburger Straße 101. Prozessberichte unter http://infoladen.de/koeln/gruppen/ea.