Von der Apartheid zur Demokratie

Der südafrikanische Literaturwissenschaftler Neville Alexander sorgt sich um die Zukunft Südafrikas. Von Gerhard Klas

Der südafrikanische Literaturwissenschaftler Neville Alexander, der 1961 in Tübingen über das Werk von Gerhard Hauptmann promovierte, reist auch heute noch häufig nach Deutschland. Wenn dann ehemalige MitstreiterInnen gegen die Apartheid die Situation des heutigen Südafrika in allzu rosigen Farben malen, widerspricht er höflich. »Aus der Ferne betrachtet sieht vieles besser aus, als es tatsächlich ist«, sagt Alexander über die so genannte Regenbogennation Südafrika.

Der Kampf gegen das Apartheidregime hat die Biographie des Mittsechzigers geprägt. Elf Jahre lang, bis 1974, saß er zusammen mit Nelson Mandela auf Robben Island, der berüchtigten Sträflingsinsel. Schon damals war er im Unterschied zu vielen VertreterInnen des African National Congress (ANC) der Ansicht, dass eine Befreiung Südafrikas nur möglich sei, wenn auch der Kapitalismus überwunden würde. Die Fakten und Perspektiven, die er in seinem neuen Buch Südafrika - Der Weg von der Apartheid zur Demokratie ausführt, scheinen seine These von damals zu bestätigen.

Akribisch analysiert er das heutige Südafrika - und räumt auf mit den Mythen, die hierzulande über die Befreiungsbewegung in Südafrika existieren. Der ANC war weder kommunistisch, noch hat ein Umsturz das Apartheidsystem hinweggefegt. Eigenmächtig - hier beruft sich Alexander auf die Autobiographie Nelson Mandelas - habe Mandela eine Politik der Versöhnung mit dem Apartheidregime eingeleitet, die später vom gesamten ANC mitgetragen wurde. Die wirtschaftlichen Besitzverhältnisse, so die Vereinbarung mit dem damaligen südafrikanischen Regierungschef Frederic De Klerk, sollten nicht angetastet werden. Das war ein Preis dafür, dass das Apartheidregime abdankte und das erste Mal freie Wahlen ausrief, an der sich auch die nichtweiße Bevölkerungsmehrheit beteiligen konnte. Andererseits sieht der Autor Nelson Mandela und den ANC in einer historischen Zwangssituation, denn die Alternative wäre voraussichtlich eine Militärregierung und ein lang andauernder Bürgerkrieg gewesen.

Doch fast zehn Jahre später sind die Folgen für das heutige Südafrika kaum zu übersehen. Alexander zählt die Fakten auf: Noch immer gehört der größte Teil des fruchtbaren Landes der weißen Minderheit, ebenso die Industrie, Bankhäuser, Bergwerke und der Löwenanteil des privaten Mediensektors. Das Versprechen, allen SüdafrikanerInnen Arbeit und ein menschenwürdiges Auskommen zu ermöglichen, konnte der ANC bis jetzt nicht einlösen und wird es auch in Zukunft nicht können. Mehr als vierzig Prozent Arbeitslose stehen einer kleinen schwarzen Mittelschicht gegenüber.

»Heute haben die schwarze und die weiße Mittelklasse und bourgeoise Gruppen eine offene Allianz gegen die verarmte Arbeiterschaft gebildet«, meint Alexander. Streiks und Proteste haben sich in den vergangenen Jahren gehäuft. Die sich zuspitzenden Klassenkämpfe könnten dazu führen, dass die Bevölkerung erneut entlang von ethnischen Grenzen mobilisiert wird. Anzeichen dafür sieht der Autor jetzt schon. Die Regenbogennation bekomme nicht einmal ihr Sprachproblem in den Griff. Zwar sind die elf offizielle Sprachen de jure gleichberechtigt. De facto aber stehen diejenigen, die kein Englisch sprechen, am Rande der Gesellschaft - und das ist die absolute Mehrheit. Sie könnten leicht zur politischen Manövriermasse aufstrebender Eliten werden. Nämlich dann, wenn diese versuchen, die jeweiligen Identitätszeichen wie Sprache, Hautfarbe, Religion oder Herkunft für ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Vorteile zu mobilisieren. AfrikaanerInnen, Farbige und Zulu - das ist weitaus mehr als nur ein Spiel um Worte. Das Ergebnis dieser Identitätsbildung ist nach Ansicht von Alexander todernst und wird für die nächsten Jahrzehnte über Krieg oder Frieden in Südafrika entscheiden.

Sollte es innerhalb einer Generation in Südafrika nicht zu einer radikalen Umverteilung der materiellen Ressourcen kommen, wird sich die, so Alexander, »wohlklingende Rhetorik« der Regenbogennation gegen ihre ProtagonistInnen wenden. Hoffnungsträger einer Umverteilung sind für ihn die Bündnisse gegen Privatisierungspolitik und die gut organisierten Gewerkschaften, in denen der Unmut über die ANC-Regierung und ihr neoliberales Wirtschaftsprogramm immer lauter wird. 2004 wird in Südafrika gewählt. Wer wissen will, wohin die Reise geht, kommt an Alexanders Buch nicht vorbei.

Neville Alexander: Südafrika - Der Weg von der Apartheid zur Demokratie. Beck Verlag, München 2001, 19,90 Euro.