»Opa war kein Nazi«

Von Raphaela Häuser

Dass ›die Juden‹ und ›die Deutschen‹ zwei unterschiedliche Personengruppen sind, dass ›die Deutschen‹ gleich doppelt Opfer wurden, nämlich der NationalsozialistInnen und der RussInnen, dass die Nazis immer die anderen waren und dass der Großteil der NSDAP-Mitglieder in die Partei eintreten musste und das natürlich aus wirtschaftlichen Gründen, haben die AutorInnen Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall im Rahmen des Forschungsprojektes »Tradierung von Geschichtsbewusstsein« von den Befragten »gelernt«.

Unter dem Titel »Opa war kein Nazi« dokumentieren die SozialwissenschaftlerInnen und PsychologInnen ihre qualitative Studie, in der sie mit 142 Personen aus der ZeitzeugInnen-, Kinder- und EnkelInnengeneration in Familien- und Einzelinterviews den Umgang mit Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis untersuchten.

Sie kommen zu dem Ergebnis, dass in den Erinnerungen der Befragten die TäterInnen meist konturlos bleiben und historische Vorgänge nur in Umrissen beschrieben und verharmlost werden. Durch die orale Geschichtsweitergabe an die nachfolgenden Generationen werden die Erzählungen modifiziert und bewusst oder unbewusst Anzeichen für eventuelle Verstrickungen der eigenen Familie in nationalsozialistische Strukturen ausgeblendet oder gerechtfertigt und Familienangehörige werden zu HeldInnen: So bleibt nur die Frage, warum man Juden und Jüdinnen versteckt, wenn man von deren Verfolgung natürlich erst nach dem Krieg erfahren hat.

Typische Phänomene sind in den Erinnerungen Rechtfertigungen des eigenen Handelns als Zwangslage, die Distanzierung von den Nazis als ›die Anderen‹ und der Rollenwechsel von TäterInnen und Opfern, bei denen die Familien der Befragten ihr eigenes Leid unter ›dem Russen‹ oder bei der Vertreibung nach dem Krieg in den Vordergrund stellen. Die eigenen Angehörigen werden zu RegimegegnerInnen und teilweise sogar zu WiderständlerInnen gemacht. Hinzu kommt das Phänomen der Faszination durch die »Errungenschaften« der NS-Gesellschaft und durch »Disziplin, Gehorsam und Ordnung« der mitlaufenden Bevölkerung. Es habe nie jemanden gegeben, der Menschen so in seinen Bann gezogen hat wie Hitler, beurteilt eine Befragte aus der Nachkriegsgeneration.

Insgesamt konstatierten die AutorInnen eine erhebliche Differenz zwischen kulturellem und kommunikativem Gedächtnis und ein unglaubliches Maß an latenten und manifesten antisemitischen Vorurteilen: So glaubten einige TeilnehmerInnen der Studie, »die Juden« an ihrer Feigheit und an der Nase zu erkennen. Weiterhin waren die Jüdinnen und Juden nach Mehrheitsmeinung der Befragten reich. Irgendwann seien sie einfach weggegangen, ausgewandert oder nicht mehr gekommen, ihren Hausrat hätten sie in den meisten Fällen mitnehmen können.

Im Anhang des Buches findet sich zur Ergänzung eine repräsentative Bevölkerungsumfrage, die im Juni 2002 von Emnid durchgeführt wurde. Diese bestätigt die Ergebnisse der Studie: 49 Prozent der Befragten sind der Meinung, ihre Angehörigen hätten dem Nationalsozialismus eher negativ gegenübergestanden. 65 Prozent glauben, ihre Eltern bzw. Großeltern hätten im Krieg viel erlitten, 26 Prozent sind der Überzeugung, ihre Angehörigen hätten »Verfolgten geholfen«. Die Opfer des Nationalsozialismus müssten demnach wohl ein ernsthaftes Problem gehabt haben, die Nachfrage zu stillen!

Erschütternd sind die Ergebnisse, die sich den LeserInnen offenbaren, die Äußerungen der Befragten teilweise schwer zu ertragen und man möchte mit Funny van Dannen fragen: »Warum lieben ›wir Deutschen‹ Sissy so sehr, warum mögen ›wir‹ keine Juden? […] Warum sind in Deutschland die anderen schuld, wenn man selbst zu doof ist zum Denken?«

Harald Welzer, Sabine Moller, Karoline Tschuggnall: Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Fischer-Verlag, Frankfurt 2002, 10,90 Euro.