Wein und Krieg

Von Raphaela Häuser

»Einem Deutschen im Lokal das Getränk umkippen oder Kleidung so kombinieren, dass sie die verbotene Trikolore in Blau-Weiß-Rot zeigte«, so beschreibt der Historiker H. R. Kedward den alltäglichen unorganisierten Widerstand in Frankreich gegen die deutsche NS-Besatzung. Der Widerstand der WinzerInnen aber hatte ganz andere Dimensionen und war durchaus organisiert, wie das Ehepaar Don und Petie Kladstrup in seinem Buch Wein und Krieg dokumentiert.

Aufgenommen wurden von den AutorInnen die Erinnerungen mehrerer französischer WinzerInnenfamilien aus verschiedenen Weinanbaugebieten unter der deutschen Besatzung. Mit dem Einmarsch in Frankreich begann ein regelrechter Weinraubzug der Deutschen, die die edlen Tropfen in Millionen von Flaschen über die Grenze transportierten. Was nicht gestohlen wurde, wurde zu Spottpreisen »gekauft«.

Vom Nazi-Regime wurden in Frankreich so genannte Weinführer eingesetzt, die für die Auswahl und den Ankauf guter Weine unter Preis zuständig sein sollten. Da viele Weinführer selber Weinhändler waren und sich das Nachkriegsgeschäft mit den französischen WinzerInnen nicht verderben wollten, wendete sich auch hier vielerorts das Blatt gegen die Besatzungsmacht.

In den folgenden Jahren tanzten die französischen WinzerInnen den schwerfälligen Deutschen auf der Nase herum: Minderwertige Weine wurden mit der Aufschrift »Sonderabfüllung für die Wehrmacht« umettiketiert. Die besten Jahrgänge mauerte man kurzerhand im Weinkeller hinter doppelten Wänden ein. Die WinzerInnenkinder sammelten indes Spinnen, die, auf die Wand gesetzt, schnell das Alter der Mauer verschleierten. Eine Pariser Teppichreinigung lieferte Staub an Restaurants, um schlechte junge Weine alt und edel aussehen zu lassen. WiderstandskämpferInnen wurden von WinzerInnen in Weinfässern über die Demarkationslinie transportiert und in den Gewölben der Champagnerkellereien und der Weingute lagerten die Waffenarsenale der RésistancekämpferInnen, die auch selber ab und an hier Unterschlupf fanden. Anhand der Weinbestellungen der Wehrmacht konnte der französische Widerstand so manche geheime Truppenbewegung der Deutschen voraussehen. Weintransporte nach Deutschland wurden ausgeraubt, geladene Fässer angezapft und leer auf die Reise geschickt. »Noch eine Flasche weniger für die Deutschen« wurde zum französischen Trinkspruch während der Besatzung.

Etwas Gutes konnten einige WinzerInnen dennoch an der deutschen Besatzung finden: Sie sind der Überzeugung, ohne die Deutschen hätten sie bis heute keine einzige Flasche der völlig verregneten und daher qualitativ minderwertigen 1939er-Ernte verkauft.

Leider kann Erinnerung manchmal täuschen. Die Erzählungen der WinzerInnen wurden vom Ehepaar Kladstrup offensichtlich nicht hinreichend überprüft. Das ARD-Fernsehmagazin Kulturreport konnte nachweisen, dass beispielsweise der Bericht des Winzersohns Bernard de Nonancourt, der als Soldat am 4. Mai 1945 mit seiner Division eine halbe Million geraubte Weinflaschen in Hitlers Depot bei Berchtesgaden ausgehoben haben will, erhebliche historische Fehler aufweist. Die Lagerräume konnten schlicht und ergreifend eine solche Menge an Flaschen nicht fassen.

Dennoch ist Wein und Krieg ein packendes Buch, das interessante Anekdoten zu bisher vernachlässigten Aspekten der Alltagsgeschichte des besetzten Frankreich präsentiert. Nicht nur empfehlenswert für WeinliebhaberInnen.

Don und Petie Kladstrup: Wein und Krieg. Bordeaux, Champagner und die Schlacht um Frankreichs größten Reichtum, Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2002, XX,XX Euro