»Unser größter Feind ist die Kirche«

Seit 18 Jahre gibt es das Piccolo-Theater. Die feministische Bühne im Kwartier Latäng wird von Ingund Mewes und ihrer Tochter Dorothea Mewes geleitet. Demnächst Vorstellung im Philosophikum. Von Raphaela Häuser

Sie sind zu zweit und sie machen fast alles selber. Sie sind Autorinnen, Regisseurinnen, Schauspielerinnen und sie haben ihr eigenes Theater. 1985 übernahmen Ingund Mewes und ihre Tochter Dorothea Mewes die kleine Bühne in den Wohnräumen im Hinterhof der Zülpicher Straße 28 von einem Freund. Vorbei an den kleinen Tischen im Innenhof, an denen man nach den Vorstellungen bei Kerzenschein noch ein Glas trinken kann, betritt man das Piccolo-Theater. Liebevoll mit alten Möbeln eingerichtet, mutet es wie eine Mischung aus Wohnzimmer und Theater an. Der Saal fasst sechzig ZuschauerInnen und eine kleine Bühne.

Von der Straße aus ist nur ein kleines Aushängeschild mit der Aufschrift »Piccolo-Theater, Mewes und Töchter« wahrzunehmen. Das Logo »Mewes und Töchter« ist eine Replik auf die patriarchal geprägte Geschäftswelt à la Meyer und Söhne oder Brüder Müller. Tatsächlich sind die Mewes' nur Mutter und eine Tochter und ihr Verhältnis im Theater ist partnerschaftlich und keine klassische Senior-Junior-Beziehung. »Das Logo ist nicht dazu da, die Öffentlichkeit über unsere Familienverhältnisse aufzuklären«, stellt Dorothea Mewes klar. Vielmehr sei der Name Mewes und Töchter eine originelle Idee ihrer Mutter gewesen und repräsentiere ihren frauenpolitischen Ansatz. »Das Theater hätte auch so geheißen, wenn Ingund es alleine aufgezogen hätte.«

Das Piccolo-Theater ist das einzige professionelle Frauentheater mit festem Sitz im deutschsprachigen Raum: Ein pazifistisches und feministisches Programmtheater, das sich den Themen Zivilcourage und Drittes Reich sowie der gesellschaftlichen und sozialen Situation der Frau verschrieben hat. Damit ist es gleichzeitig auch das einzige genuin politische Theater in Köln.

Den Großteil der Stücke schreiben die beiden Theaterleiterinnen inzwischen selber. Nur so können sie genau das rüberbringen, was sie sagen wollen. Die Töchter der Hexen ist das erste selbstgeschriebene Stück von Ingund Mewes, uraufgeführt im September 1987. Einige Szenen habe sie aus dem Papierkorb ihrer Mutter wieder herausgeholt, den sie jeden Abend kontrolliert habe, so Dorothea Mewes. Der herausragende Erfolg des Stücks, spätestens aber die Auszeichnung mit dem Kölner Theaterpreis im Jahr 1991 werden Ingund Mewes' Zweifel wohl beseitigt haben.

Thema ist die Frauenverfolgung in der Frühen Neuzeit. Als Vorlage diente eine historische ›Hexe‹, die erfolgreiche Kölner Fuhrunternehmerin Katharina Henot, die vermutlich von der Konkurrenz auf diesem Weg beseitigt wurde. Wichtiges Element des Stücks ist die tragende Rolle der Kirche bei der »Frauenentsorgung« und der Hexenhammer, ein 1487 veröffentlichtes »kirchliches Handbuch« zu Fragen der »Hexerei«. Ingund Mewes beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Unterdrückung von Frauen durch die Geistlichkeit. »Unser größter Feind ist die Kirche«, hatte sie schon Anfang der Siebzigerjahre in der Frauenbewegung gepredigt und es sich zur Aufgabe gemacht, aufzuarbeiten wie die Kirche jahrhundertelang mit der weiblichen Bevölkerung umgesprungen ist. 1987 bei einer Aufführung der Töchter der Hexen im Rahmen einer Veranstaltung zur Frauenverfolgung auf dem Roncalliplatz hagelte es dann auch prompt Kritik vom damaligen Kölner Erzbischof Joseph Höffner: »Die Frauen sollten endlich einmal aufhören, mit dem Müllwagen durch die Skandale der Kirchengeschichte zu fahren«, hatte der öffentlich gefordert. »Das eigentliche Problem«, findet Dorothea Mewes, »ist, dass bisher niemand damit wirklich angefangen hat.«

Ein weiteres Herzstück des Piccolo-Programms ist die szenische Lesung Briefe der Geschwister Scholl, die in enger Zusammenarbeit mit Inge Aicher-Scholl, der großen Schwester von Hans und Sophie entwickelt wurde. Dabei stellte die Familie Scholl Ingund und Dorothea Mewes exklusiv Materialien zur Verfügung, die bis heute unveröffentlicht sind. Schon vor Eröffnung des eigenen Theaters wurde das Programm am 8. Mai 1985, vierzig Jahre nach Kriegsende, in der Comedia Colonia aufgeführt. Die Lesung ist den beiden Schauspielerinnen ein besonderes Anliegen und hat ihren festen Platz im Spielplan und bei Gastspielen außerhalb des eigenen Hauses. Zuletzt hatte das Piccolo-Theater am 18. Februar mit Unterstützung der Alternativen Liste und der Fachschaft Geschichte eine Aufführung an der Universität Köln organisiert. Anlass war der 60. Jahrestag der Verhaftung Hans und Sophie Scholls, die fünf Tage später am 23. Februar 1943 gemeinsam mit ihrem Freund Christoph Probst in München ermordet wurden.

Die intensive Beschäftigung mit der Widerstandsgruppe hat Spuren hinterlassen. Die Mitglieder der Weißen Rose gehören praktisch zur Familie Mewes und werden liebevoll beim Vornamen genannt. Im Theatersaal hängt das Konterfei Sophie Scholls an der Wand - als guter Geist der Räumlichkeiten.

Subventionen von der Stadt Köln bekommt das Piccolo-Theater schon seit 1994 nicht mehr. Für einzelne Programme in Planung wie zum Beispiel den dreijährigen Zyklus Frauen im Schatten großer Männer wurden projektgebundene Subventionsanträge bei der Stadt gestellt. Ob diese bewilligt werden, steht aber noch in den Sternen. Wenn das Piccolo-Theater wie in den letzten vier Jahren auch in der Projektarbeit leer ausgeht, müssen die Programme vermutlich weiter verschoben werden. Inzwischen plant die Kölner Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer aufgrund der angespannten Haushaltslage der Stadt die kompletten Subventionen für die freien Theater zu streichen.

Dorothea Mewes gibt neben ihrer Theaterarbeit Sprech- und Atemtechnikseminare, Ingund Mewes hat bis zu ihrer Pensionierung als Sprecherin bei WDR, ARD und Deutscher Welle gearbeitet. Ein festes Ensemble kann sich das Piccolo-Theater nicht leisten, die finanzielle Lage ist zu ungewiss. Bei vielen Produktionen stehen die beiden Mewes alleine oder zu zweit auf der Bühne und auch sonst ist das Team klein und flexibel. Wo sonst sieht man im Theater schon eine Sängerin, die gleichzeitig noch Ton- und Lichtanlage bedient? Hier zählen Inhalte und nicht Profit, und das ist leider auch in der Theaterszene wenig lukrativ.

Nach jeder Vorstellung steht traditionell die Diskussion mit dem Publikum. Ziel ist eben nicht die plumpe Unterhaltung, sondern die Beschäftigung mit dem Stoff und die Aufarbeitung wichtiger gesellschaftlicher Themen. »Erlebte Geschichte, die verdrängt wird, ist da und schwelt«, meint Dorothea Mewes. »Das birgt Gefahren. Geschichte wiederholt sich nicht, aber die Strukturen kehren wieder. Deshalb ist es unser Anliegen, den Leuten eine Möglichkeit zur Aufarbeitung anzubieten.«

Die Töchter der Hexen wird zum nächsten Mal am 30. April um 20 Uhr wie jedes Jahr in der obligatorischen Walpurgisnachtvorstellung aufgeführt. Am 8. Mai um 17 Uhr ist Dorothea Mewes im Philosophikum mit dem Programm Ich bin in Sehnsucht eingehüllt zu sehen. Sie liest Gedichte der Jüdin Selma Meerbaum-Eisinger, geboren 1924 in Czernowitz, gestorben 1942 im SS-Arbeitslager Michailowska.

Informationen und Kartenreservierungen unter www.piccolo-theater.de oder (0221) 232704.