Taylorismus an der Uni

40-Stunden-Woche und Lenkung des Studienverlaufs: Geplante Studienreform sieht Verschärfungen für StudentInnen vor Von Raphaela Häuser

Wer während seines Studiums durch Nebentätigkeiten selber für den Unterhalt sorgen muss, versteht nur allzu gut die Sorgen des alten Sysiphos. Künftig werden sich die erwerbstätigen KommilitonInnen überlegen, ob sie nicht gleich am Fuß des Berges sitzen bleiben. Nicht dass der Brocken aus Studium, Arbeit und eigener Haushaltsführung schon groß genug wäre. In Zukunft soll man ihn auch noch auf vorgeschriebener Strecke in noch kürzerer Zeit den Berg hinaufbekommen.

An der Philosophischen Fakultät laufen die Vorbereitungen zur Einführung eines Leistungspunktsystems (Creditpoints). Dieses sieht vor, dass ab dem Wintersemester 2003/2004 alle Studiengänge »modularisiert« werden. Dabei sollen mehrere sinnverwandte Lehrveranstaltungen zu Studieneinheiten, so genannten Modulen, zusammengefasst werden. Die inhaltliche Studiengestaltung der einzelnen StudentInnen wird somit kanalisiert und vereinheitlicht, sodass ein gewisser Pflichtkanon abgedeckt werden muss. Laut Günther Neumann, dem Referenten für die Lehramtsstudiengänge beim Ministerium für Schule, Jugend und Kinder, soll die Modularisierung Lehrinhalte zu Sinneinheiten zusammenfassen und strukturieren, da bisher weder die Studienvorgaben der einzelnen Fächer noch die StudentInnen eine ausreichende Systematik in das Studium gebracht hätten.

Im Rahmen der Umgestaltung der Studiengänge wird allen Veranstaltungen eine bestimmte Anzahl an Creditpoints zugewiesen. Die Creditpoints stehen für eine Zeiteinheit von dreißig Arbeitsstunden. Insgesamt sollen im Verlauf des Studiums 270 Creditpoints verteilt auf neun Semester gesammelt werden. Daraus ergibt sich ein Arbeitspensum von 8100 Stunden für das gesamte Studium und somit ein wöchentlicher Aufwand von 39,1 Stunden bei exakt drei Wochen arbeitsfreier Zeit im Semester, Feiertage inklusive.

Im Grunde, so Neumann, gehe das Modell von der Fiktion aus, dass alle StudentInnen ein Vollzeitstudium betrieben. »Bei den gegebenen sozialen Voraussetzungen ist dies aber nicht möglich.« Das kritisiert auch Nora Wolf vom SprecherInnenrat der Philosophischen Fakultät: »Die geplante Studienreform berücksichtigt weder die finanziellen Verhältnisse der StudentInnen, noch deren persönliche Lebensumstände. Zudem bereitet die Modularisierung mit ihrem Stechuhrsystem für erbrachte Leistungen einen fruchtbaren Boden für die Einführung von Studienkonten oder anderen Studiengebühren.«

Dass die Durchschnittsstudienzeiten für Lehramtsstudiengänge bei elf bis zwölf Semestern und in Magisterstudiengängen sogar bei 13 bis 14 Semestern liegen, wird auf die »Faulheit« der StudentInnen zurückgeführt. Mit dem neuen Modell soll dementsprechend Druck ausgeübt werden. Wer der vorgeschriebenen Geschwindigkeit des Fließbands nicht entsprechen kann, fällt hintenüber. Lief Frederick Winslow Taylor noch mit der Stoppuhr hinter seinem Musterarbeiter »Schmidt« her, um die Zeit zu nehmen, ersinnen sich die Verantwortlichen an der Philosophischen Fakultät die angeblich benötigte Zeit für bestimmte Aufgaben hinter dem Schreibtisch. So brauche man für die Vorbereitung einer Klausur für Sprachkurse ungeachtet der Sprachstufe zirka sechzig Arbeitsstunden während für eine fünfzehnminütige mündliche Prüfung zu einer Vorlesung oder einem Proseminar neunzig Arbeitsstunden kalkuliert werden.

Neumann zufolge hat man sich mit 39,1 Stunden noch auf einen Mittelwert geeinigt. Es habe auch Forderungen nach einer 50-Stunden-Woche für StudentInnen gegeben, da diese nicht die gleichen Ruhezeiten wie durchschnittliche ArbeiternehmerInnen benötigen würden.