Politik der Machtmaximierung

Von Dirk Eckert

Ein Jahr nach den Anschlägen vom 11. September kommt auch die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas in Gang. So hat beispielsweise Jürgen Wagner mit seinem im VSA-Verlag erschienenen Buch Das ewige Imperium die Außenpolitik der USA nach den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon untersucht. Washington setzt demnach weiter auf eine »imperiale Strategie«, so Wagner. Damit werde auf die Herausforderung mit einem Ausbau eigener Macht reagiert.

Wagner, als Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) selbst in der Friedensbewegung aktiv, belegt seine These mit einer Untersuchung der Anti-Terror-Strategie der Bush-Regierung, die unter dem Deckmantel des »Krieges gegen den Terror« willkürlich Länder als Freunde ansieht oder als »Achse des Bösen« zum Abschuss freigibt und dabei auch den Bruch des Völkerrechts in Kauf nimmt - gerade so, wie es den eigenen Interessen nützt. Dazu zählt Wagner auch den Krieg gegen Afghanistan. Die Anschläge seien nur der »Auslöser eines längst beschlossenen Krieges« gewesen: Eines Krieges um den »Zugang zu Schlüsselmärkten und strategischen Ressourcen«, den ein offizielles Dokument der amerikanischen Regierung als vitales Interesse der USA bezeichnet.

Die Politik der Machtmaximierung fordert natürlich ihren Preis. Als solchen ordnet Wagner auch die Terroranschläge ein. »Die den Attentaten des 11. September zugrundeliegenden Motivationen einzig auf religiösen islamischen Fundamentalismus zu reduzieren, greift einfach zu kurz.« Er hält die Anschläge weder für zufällig noch irrational. »Diejenigen, die sie ausführten, handelten aus kalter Berechnung, die Vereinigten Staaten zur Änderung spezifischer Politiken zu zwingen - Politiken, die sich hauptsächlich aus der globalen Rolle ergeben, die Amerika gewählt hat«, zitiert Wagner aus der Atlantic Monthly.

In den USA war es vor allem die Linke um den Sprachwissenschaftler Noam Chomsky, welche die Anschläge von New York und Washington sofort in den Kontext der eigenen Außenpolitik gestellt hat. An ihr orientiert sich auch Wagner. »Die aus den Theorien der realistischen Denkschule abgeleitete imperiale Politik der USA riskiert auf unverantwortliche Weise zahllose Menschenleben, nicht nur in den Vereinigten Staaten, und muss deshalb kritisiert werden. Als eine Art self-fullfilling prophecy verhindert sie deeskalierende Maßnahmen und macht damit die Möglichkeit zu einem friedlichen Zusammenleben unmöglich.«

Wagner hat seine ursprünglich für die Bundestagsfraktion der PDS erstellte Untersuchung quellenmäßig gut belegt. Es dürfte kaum einen Aufsatz eines amerikanischen Fachblatts geben, der seiner Literaturrecherche entgangen ist. Insofern lohnt sich das Buch allemal auch für diejenigen, die nicht der politischen Richtung von Wagner anhängen. Nebenbei zeigt er damit auch, dass vieles von dem, was hierzulande oft als linke, altbackene »Antiimp«-Vorstellung abgetan wird - Pipelines, imperiale Strategie - in Wirklichkeit in der Fachliteratur heiß diskutiert wird oder sogar von den Regierenden selber so gesehen wird.

Der politikwissenschaftliche Ansatz des Buches verhindert es, dass die Kritik an der US-Politik ins Antiamerikanische abrutscht und vermeintliche typische amerikanische Eigenschaften wie Gewalttätigkeit, Cowboymentalität oder ähnlicher Unsinn als Erklärungsmuster auftauchen - auch wenn vielleicht das Cover des Buches mit Cowboy Bush etwas anderes vermuten lässt. Wagner leitet das Verhalten der USA richtigerweise aus der Stellung der Vereinigten Staaten im Internationalen System ab und spricht mit Bruce Cronin vom »Paradox der Hegemonie«, mit dem die USA als hegemoniale Macht zu kämpfen hätten. Demnach neigt der Hegemon dazu, Regeln zu brechen, weil er das ungestraft tun kann. Damit untergräbt er aber gleichzeitig die Stabilität der Ordnung, die er erhalten will.

Aus einer linken, herrschaftskritischen Perspektive, die Wagner einnimmt, kann es deshalb auch keine Lösung sein, auf die EU als militärische Konkurrentin zu setzen. »Unweigerlich würde eine zweite Macht etabliert werden, deren Präferenzen ebenfalls nicht auf einem friedlichen Zusammenleben der Völker liegen, sondern die sich ausschließlich an den militärischen Kategorien von Gut und Böse, Sieg und Niederlage orientiert«, so Wagner. Genau darauf setzt die EU, die bis 2003 eine 60000 SoldatInnen starke »Interventionsarmee« aufstellen will.

Ganz will aber auch Wagner nicht auf einen »europäischen Verbund« verzichten, der in der Lage sein soll, den »Prozess der Globalisierung zu steuern und die Macht der transnationalen Konzerne zu beschränken«. Gleichzeitig warnt er aber davor, zu viel Hoffnung in Regierungen zu setzen. Sein Herz schlägt, das ist deutlich zu spüren, für außerparlamentarischen Druck und die Zusammenarbeit von Friedensbewegung, Friedensforschung und Anti-Globalisierungsbewegung.

Jürgen Wagner: Das ewige Imperium. Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor, VSA-Verlag, Hamburg 2002, 12,80 Euro.