Böse Ziele

Amerikanische Umtriebe: FBI-Akten aus den Sechzigerjahren beweisen illegale Maßnahmen des FBI gegen die StudentInnenbewegung an der Universität Berkeley. Von Dirk Eckert

Einer der wichtigsten Orte der politischen Auseinandersetzungen der Sechzigerjahre in den USA war die Universität Berkeley in Kalifornien. Lange vor den Hippies, dem 67er »Summer of Love« und den großen Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg fanden hier Auseinandersetzungen zwischen revoltierender Jugend und Establishment statt. Sie drehten sich zunächst um das Recht auf freie Meinungsäußerung auf dem Campus. Der Journalist Seth Rosenfeld vom San Francisco Chronicle hat die Geschichte des Protests mit Hilfe von kürzlich freigegebenen FBI-Unterlagen rekonstruiert (http://www.sfgate.com/campus). Die Unterlagen zeigen, wie konservative PolitikerInnen, darunter der spätere Präsident Ronald Reagan, und das FBI mit zum Teil illegalen Methoden versuchten, die Proteste zu unterdrücken und als »kommunistische Umtriebe« zu diffamieren.

Für FBI-Chef Edgar J. Hoover war bereits 1960 klar, dass KommunistInnen versuchen würden, die Universität Berkeley »für ihre eigenen, bösen Ziele« unter Kontrolle zu bringen. An der Universität befanden sich Strahlungslaboratorien, die im Zusammenhang mit der Nuklearwaffenforschung standen. 1946 verhaftete das FBI den Briten George Eltenton, der im Auftrag des sowjetischen Konsulats Informationen über das Strahlungslabor in Berkeley eingeholt hatte. Spektakulärer geriet 1950 die Verhaftung von Julius und Ethel Rosenberg, denen in einem schauprozessähnlichen Verfahren vorgeworfen wurde, sie hätten der Sowjetunion geheime Dokumente über die Atombombe zukommen lassen. Beweise gab es dafür keine, im Prinzip wurde ihre Hinrichtung damit begründet, dass sie dem Umfeld der politisch bedeutungslosen Kommunistischen Partei der USA zugerechnet werden konnten.

Gerade weil es in den USA so gut wie keine KommunistInnen gab, konnte man ihnen alles vorwerfen, vor allem Spionage, von Hoover als »das Verbrechen des Jahrhunderts« betrachtet. Am 17. Februar 1951 startete er ein geheimes Programm, um politisch verdächtige Personen aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. So sollte verhindert werden, dass KommunistInnen »heimtückisch die Parteilinie der Kommunistischen Partei in die Köpfe der Kinder einflößen«, wie es damals in einem FBI-Papier hieß. Im Rahmen dieses Programms trat das FBI an die Gouverneure der Bundesstaaten heran und erstattete diesen mündliche Berichte über verdächtige Staatsangestellte - 908 an der Zahl. Wie das FBI später schätzte, haben mehr als 500 Menschen auf diese Weise ihre Stellung verloren. Die Angeklagten hatten nie eine Chance, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. An der Universität Berkeley waren es 15 Beschäftigte, über die das FBI den Gouverneur von Kalifornien, Earl Warren, unterrichtete.

Hoover fühlte sich in seiner Ansicht, dass es in Kalifornien von KommunistInnen nur so wimmeln würde, durch den Burns-Report von 1951 bestärkt. Hugh M. Burns, demokratischer Senator aus Fresno in Kalifornien, führte den Vorsitz eines Unterkomitees für Unamerikanische Umtriebe - eine Art kalifornische Version des Komitees für Unamerikanische Umtriebe unter Senator Joseph R. McCarthy. Der 291 Seiten umfassende Bericht beschuldigte die Universität Berkeley, »wissentlich oder unwissentlich die internationale kommunistische Verschwörung in diesem Land unterstützt zu haben«. Ab 1952 setzte Burns »Kontaktmänner« an der Universität ein, um die vermuteten KommunistInnen ausfindig zu machen. Die Universität und ihr Präsident Robert Gordon Sproul wehrten sich gegen diese Anschuldigungen. Obwohl Burns die Gefahr als besonders groß hinstellte, wurde keine einzige Person benannt, die wenigstens im Verdacht stand, für die Sowjetunion bzw. die KommunistInnen etwa atomare Geheimnisse auszuspionieren. Gleichwohl schlug der Bericht ein wie eine Bombe. »Kalifornien gewarnt: Die Roten sind auf dem Campus«, titelte eine Zeitung, »Report klagt Berkeley-Chefs an, Verschwörung der Roten unterstützt zu haben« eine andere.

Der Nachfolger von Sproul als Universitätspräsident war Clark Kerr, der als loyaler Staatsangestellter galt. Vor seiner Ernennung 1958 war er durch das FBI überprüft worden, da er als Universitätspräsident auch Zugang zu den Atomwaffenlaboratorien haben würde. Das Burns-Komitee und dessen Arbeit lehnte er jedoch ab, weil sie ihm übertrieben und unbegründet erschien. Statt dessen verteidigte er die akademische Freiheit und auch KollegInnen, die keinen Treueschwur leisten wollten. Das machte ihn bei Burns und seinen MitstreiterInnen unbeliebt. Das Komitee forderte, Kerr zu überwachen, da er Liberalen und Linken helfe und vielleicht ein »Undercover-Kommunist« sei.

Am 13. Mai 1960 demonstrierten Hunderte Menschen vor dem Rathaus in San Francisco gegen den Unterausschuss für Unamerikanische Umtriebe. Das FBI war überrascht. »Gestern hatten wir eine Demonstration von Kommunisten in San Francisco, wie wir sie seit dem berüchtigten Streik von 1934 nicht hatten«, schrieb Richard Auerbach vom FBI-Büro San Francisco an Hoover. Viele der DemonstrantInnen waren StudentInnen aus Berkeley. Für Auerbach zeigte dies den »Verfall von Sittlichkeit und Patriotismus«. McCarthy schien wirkungslos, die KommunistInnen standen schon wieder vor der Tür. In Berkeley schienen sie bereits Fuß gefasst zu haben. Und ein viel zu liberaler Universitätspräsident sah ihren Umtrieben tatenlos zu.

Free speech

Als die StudentInnen im Herbst 1964 aus den Sommerferien kamen, mussten sie feststellen, dass politische Aktivitäten auf dem Campus untersagt waren. Am 1. Oktober 1964 verhaftete die Polizei einen Studenten, der Spenden für eine Bürgerrechtsgruppe gesammelt hatte. Jetzt begann der Protest mit einem spontanen Sit-in und »Let him go«-Rufen. Das FBI war vor Ort, die AgentInnen machten Fotos und notierten Namen. Universitätspräsident Kerr befürchtete einen Gewaltausbruch und hob nach Verhandlungen das Verbot politischer Betätigung auf. Dafür beendeten die StudentInnen ihre illegalen Proteste. Doch jetzt ging es erst richtig los. Die StudentInnen gründeten das Free Speech Movement (FSM), das in der nächsten Zeit die früher so friedliche Universität mit Sit-ins und Streiks erschüttern sollte. Die Zeiten, wo StudentInnen vor allem für ihre Karriere arbeiteten, waren vorbei, die wilden Sechziger hatten begonnen.

Am 2. Dezember 1964 kam es zu einer weiteren großen Versammlung an der Universität, und die Folk-Sängerin Joan Baez hatte mit dem Song We shall overcome einen umjubelten Auftritt. Um drei Uhr morgens rückte schließlich Polizei an, die rund 800 Protestierende in zwölf Stunden Arbeit aus der Universität trug. Das löste noch größere Proteste aus, die mehrere Tage anhielten. Schließlich stimmte der Verwaltungsrat am 18. Dezember der Hauptforderung des FSM nach dem Recht auf politische Betätigung auf dem Campus zu. Als Begründung wurde angegeben, dass die universitären Regeln den Entscheidungen des Supreme Court, des Obersten Gerichts der Vereinigten Staaten, über das Recht auf freie Meinungsäußerung folgen sollten.

Die Warnung vor dem Einfluss der KommunistInnen war selbstredend unbegründet, wie aus einem internen Memo von Curtis Lynum vom FBI San Francisco an FBI-Chef Hoover hervorgeht. Sicher wären einige KommunistInnen und SozialistInnen dabei, hieß es in der Note vom 8. Januar 1965, aber »die Demonstrationen hätten mit der oder ohne die Teilnahme von subversiven Elementen stattgefunden, da diese Unzufriedenheit so tief saß«. Am 19. Januar schob Lynum noch die Erkenntnis nach, dass die Ermittlungen des FBI keinen Hinweis darauf ergeben hätten, dass die Kommunistische Partei direkt an den Demonstrationen beteiligt gewesen sei. Doch solche Einschätzungen blieben intern.

Für Kerr sollten die Vorfälle das Ende seiner Karriere bedeuten. Das FBI betrieb jetzt offensiv seine Ablösung. Als Präsident Lyndon B. Johnson im Dezember 1964 Kerr zum Gesundheitsminister machen wollte, nutzte Hoover diese Gelegenheit, um den ahnungslosen Kerr zu demontieren. In dem FBI-Bericht über Kerr, den Johnson am 31. Dezember 1964 von Hoover bekam, fanden sich eine Reihe von Anschuldigungen. Das FBI hatte sie überprüft und für nicht haltbar befunden, doch das verschwieg Hoover dem Präsidenten. So wurde behauptet, dass Kerr »pro-kommunistisch« eingestellt sei. Ein gewisser Louis Hicks, der diese Behauptung 1953 in die Welt gesetzt haben soll, dementierte dies später auf Nachfrage des FBI. Er bestritt, sie überhaupt geäußert zu haben. In einem dem Report beigefügten Brief waren noch mehr solcher Anschuldigungen aufgelistet. Alle waren sie zu dünn, um in den Report selbst aufgenommen zu werden. Inhaltlich ging es auch hier darum, Kerr zum Kommunisten zu machen oder zumindest in die Nähe der KommunistInnen zu rücken. Im Amerika der Sechzigerjahre war das ein politisches Todesurteil. Johnson zog sein Angebot an Kerr zurück.

Doch damit nicht genug: Hoover beriet sich mit dem damaligen CIA-Direktor John McCone, den er am 28. Januar 1965 traf. Diese Zusammenkunft war brisant, schließlich durfte sich die CIA nicht in innerstaatliche Angelegenheiten einmischen. Die beiden entwickelten einen geheimen Plan. CIA-Chef McCone hatte einen alten Freund, der im Verwaltungsrat von Berkeley saß: Edwin Pauley, ein Öl-Multimillionär und großer Sponsor der Universität. Pauley war ein scharfer Kritiker von Kerr und besorgt, dass die Linken in Berkeley zu stark werden könnten. Er betrieb intensiv die Ablösung von Kerr, konnte aber im Verwaltungsrat nicht sofort die dafür nötige Mehrheit finden. Hoover sagte McCone zu, Pauly mit vertraulichen FBI-Informationen über Kerr zu versorgen. Außerdem erhielt Pauly vom FBI 19 Memos mit vertraulichen Informationen über StudentInnen und Mitglieder der Fakultät. Doch der Erfolg blieb aus. Im Herbst des Jahres war Pauly immer noch zwei Stimmen davon entfernt, Kerr zu entlassen. Das FBI kam zu der Überzeugung, dass das eigentliche Problem der Gouverneur von Kalifornien, Edmund G. »Pat« Brown, war, der unbedingt an Kerr festhalten wollte. Im Jahr 1966 standen Wahlen an. Ein aussichtsreicher konservativer Gegenkandidat musste her, um Brown zu schlagen. Ein Job wie gemacht für Ronald Reagan, den Hollywood-Schauspieler.

Reagan an der Macht

Am 4. Januar 1966 gab Ronald Reagan seine Kandidatur als Gouverneur von Kalifornien bekannt. Der Republikaner war zu Beginn seiner Hollywood-Karriere ein Liberaler, doch das änderte sich über die Jahre. In der McCarthy-Ära beteiligte er sich an der Suche nach vermeintlichen KommunistInnen. Ende der Fünfzigerjahre kam seine Karriere ins Stocken, wofür er Hollywoods Liberale verantwortlich machte, die sich seiner Meinung nach an ihm rächen wollten.

Zur gleichen Zeit nahmen in Berkeley die Proteste zu, nicht zuletzt wegen des Vietnam-Krieges. Ein neuer Report des kalifornischen Komitees für Unamerikanische Umtriebe von Senator Burns vom 6. Mai beschuldigte Kerr, mit seiner laxen Haltung die altehrwürdige Universität Berkeley in einen Zufluchtsort für ProtestiererInnen und »sexuell Abnorme« verwandelt zu haben. Kerr wehrte sich und beschuldigte seinerseits das Burns-Komitee, in dem Report wimmele es von »Verzerrungen, Halbwahrheiten sowie Aussagen und Situationen, die aus dem Kontext gerissen sind«. Am 8. November gewann Reagan die Wahl und vom FBI kamen Glückwunschschreiben. FBI-Chef Hoover sah die Chance gekommen, mit den StudentInnen fertig zu werden. »Das verschafft dem FBI die Gelegenheit, die immer mehr zunehmende Agitation subversiver Elemente auf dem Campus zu vereiteln«, notierte der FBI-Chef in einem Memo.

Das einzige, was Reagans Politikerlaufbahn früh hätte beenden können, wäre die Routineüberprüfung durch das FBI gewesen. Gefragt wurde dort auch nach der Zugehörigkeit zu verbotenen kommunistischen oder faschistischen Gruppen sowie Organisationen, die unter die Executive Order 10450 fielen. Reagan verneinte beides, und das FBI akzeptierte die Antworten, obwohl die BeamtInnen nur die eigenen Akten hätten durchsehen müssen, um zu sehen, dass Reagan gelogen hatte: 1946 war er Sponsor und Direktor eines Komitees für eine demokratische Nahost-Politik, das unter die Executive Order fiel und als subversiv eingestuft wurde. Im selben Jahr war Reagan auch Mitglied des American Veterans Committee, laut Vorgängerkomitee von Senator Burns »kommunistisch dominiert«.

Das FBI unterschlug diese Informationen, und so wurde Reagan am 5. Januar 1967 als Gouverneur von Kalifornien vereidigt. Schon bei seiner Amtseinführungsrede drohte Reagan den StudentInnen, sich entweder an die Regeln zu halten oder zu verschwinden, und ließ sich in der Folgezeit vom FBI mit Informationen über die Lage in Berkeley und die Verwaltungsratsmitglieder versorgen. Er ersetzte die drei treuesten Anhänger vom Kerr durch ihm genehme Leute, und Kerr wurde rasch abgesetzt. Mit dem Vietnam-Krieg nahmen die Proteste in Berkeley weiter zu. Im Mai 1969 verhängte Reagan in Berkeley das Kriegsrecht, entsendete Hubschrauber mit Tränengas und leitete eine Geheimdienstoperation gegen die StudentInnen ein.

Aufgeflogen sind die Machenschaften des FBI erst nach einem jahrelangen Rechtsstreit. Seth Rosenfeld, damals Student in Berkeley, hatte 1981 im Rahmen des Freedom of Information Act (FOIA) die Veröffentlichung der Akten verlangt. Obwohl dazu verpflichtet, weigerte sich das FBI so lange, bis der Supreme Court Rosenfeld recht gab. Als dieser, inzwischen Reporter beim San Francisco Chronicle, die Akten aus den Jahren 1940 bis 1970 einsehen konnte, bekam er über 200000 Seiten Papier zu Gesicht. Das FBI hat es auf Nachfrage des San Francisco Chronicle abgelehnt, die Akten zu kommentieren. »Die Akten sprechen für sich selbst«, sagte ein FBI-Sprecher. Der an Alzheimer erkrankte Reagan kann keine Auskunft mehr geben, sein Büro lehnte jede Stellungnahme ab. FBI-Chef Hoover starb 1972 77-jährig nach sage und schreibe 48 Jahren an der Spitze der Behörde. Ein Jahr zuvor hatte er noch in einem internen Memo seine Besorgnis über den kurz zuvor in Kraft getretenen FOIA zu Ausdruck gebracht und gewarnt, dass dann irgendwann die Akten des FBI »jedem Verrückten, Schakal und Kojoten« offen stünden.

Dirk Eckert arbeitet als freier Journalist in Köln. Mehr Texte unter: www.dirk-eckert.de.