»Wählt den Gauner, nicht den Faschisten«

Fünf Jahre Kohabitation haben in Frankreich die etablierte Linke geschwächt Von Raphaela Häuser

Man habe nun die Wahl zwischen Pest und Cholera, brachte es der linke Untersuchungsrichter Eric Halphen auf den Punkt. Halphen war es auch, der Jacques Chirac wegen dessen Affären als Pariser Bürgermeister vor Gericht hatte bringen wollen. Chirac, Kandidat des Rassemblement pour la République (RPR), wird sich allerdings in den nächsten fünf Jahren erst einmal nicht der Justiz stellen müssen: Als Staatspräsident genießt er Immunität.

Nach seinem Sieg über Jean-Marie Le Pen, den Präsidentschaftskandidaten des Front National (FN), feierte sich der alte und neue Präsident als haushoher Sieger. Ob es allerdings Grund zur Freude gibt, bleibt fragwürdig: Das Ergebnis des zweiten Wahlgangs war kein Votum der BürgerInnen für den Neogaullisten Chirac, sondern gegen seinen rechtsextremistischen Herausforderer, der Ausgang der Wahl vorhersehbar. Schon nach der ersten Abstimmung hatte die französische Wochenzeitschrift L'express in einem offenen Brief an Chirac den Dramatiker Pierre Corneille zitiert: »Siegen ohne Gefahr heißt triumphieren ohne Ruhm«.

Die Äußerung Dominique Strauss-Kahns vom Parti Socialiste (PS), er empfehle den WählerInnen für Chirac zu stimmen, auch wenn er sich dabei die Nase zuhalten müsse, ist zwischen den beiden Wahlgängen zum geflügelten Wort geworden. Bei den Demonstrationen gegen Le Pen vor der Stichwahl wurden Wäscheklammern und Gummihandschuhe zum Symbol des Widerwillens, mit dem man durch ein Votum für den Konservativen gegen den Faschisten stimmen würde. Schließlich warnte sogar das Verfassungsgericht, der Gebrauch von Handschuhen und Wäscheklammern in den Wahllokalen könne die Wahl anfechtbar machen.

Der neoliberale Regierungskurs des Premierministers Lionel Jospin, Kandidat des PS, ließ die inhaltliche Abgrenzung von der konservativen Politik des Präsidenten vermissen. Fünf Jahre lang hatte die so genannte gauche plurielle unter Führung der Sozialistischen Partei als Legislative in Kohabitation mit dem konservativen Staatspräsidenten regiert. Im Wahlkampf bediente Jospin konsequenterweise rechte Inhalte, machte wie Le Pen und Chirac die Innere Sicherheit zum Thema und verlor linke WählerInnen.

Als Ursache für das »Wahldesaster« war in den Medien schnell die völlig zerstrittene französische Linke ausgemacht. Insgesamt acht linke KandidatInnen hätten zusammen fast 45 Prozent der Stimmen auf sich vereinen können, war prompt die Milchmädchenrechnung aufgemacht. Wirft man allerdings die Grünen, die in den Neoliberalismus abgerutschte Sozialistische Partei, die KommunistInnen und die linksradikalen Parteien als Linke in einen Topf, müsste man den 45 Prozent der linken Parteien 65 Prozent der restlichen acht wirtschaftsliberalen, rechtsliberalen, konservativen und rechtsextremistischen Parteien gegenüberstellen.

Der eigentliche Skandal ist jedoch nicht Jospins Scheitern im ersten Wahlgang, sondern die hohe Zustimmung der WählerInnenschaft zu Le Pens rassistischer Politik und die Tatsache, dass dieser sein Ergebnis in der zweiten Runde prozentual und in absoluten Zahlen noch steigern konnte. Schließlich bleibt zu berücksichtigen, dass auch Le Pen im rechtsextremistischen Lager ernsthafte Konkurrenz durch Bruno Mégret bekommen hatte. Der holte mit seiner FN-Abspaltung Mouvement National Républicain (MNR) immerhin weitere 2,34 Prozent. Die Empörung über Le Pens Einzug in die Stichwahl darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Neofaschist schon bei den Präsidentschaftswahlen 1995 auf rund 15 Prozent gekommen war.

Kritik am Abstimmungsverfahren kann indes nicht ausbleiben. Wie kann es demokratisch legitimiert sein, dass zwei Kandidaten mit Stimmanteilen von 17 und 20 Prozent die Stichwahl unter sich ausmachen? Und warum hat ein Kandidat mit 16 Prozent der WählerInnenstimmen keine Legitimation? Ein Quorum, das von den KandidatInnen für den zweiten Wahlgang erreicht werden muss, wäre wohl einleuchtender als die Zahl der KonkurrentInnen für die zweite Runde festzulegen. Nicht primär die Zahl der angetretenen KandidatInnen, sondern auch die Tatsache, dass man im zweiten Wahlgang sein Votum »korrigieren« kann, sorgt für die Aufsplitterung der Stimmen in der ersten Runde.

Was von der Präsidentschaftswahl 2002 und fünf Jahren Kohabitation bleibt, ist die generelle Frage nach dem Sinn einer personenbezogenen Direktwahl.