Kommentar: Tacheles reden

Von Raphaela Häuser

Im Nahen Osten eskaliert der Konflikt zwischen Israelis und PalästinenserInnen. In Europa häufen sich antisemitische Übergriffe auf jüdische Personen und Einrichtungen. Auf Djerba rast gleich ein Tanklastzug in eine Synagoge. Die tunesische Regierung übt sich in Verschleierungstaktik - ganz im Sinne der Reisebüros. Alles, was interessiert, sind Touristen, nicht Terroristen. Grund genug für die deutsche Regierung, den Innenminister zur Aufklärung zu entsenden.

In Deutschland ist die Politik des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon der willkommene Anlass, endlich durch Vergleiche Israels mit dem nationalsozialistischen Deutschland die Shoa und sämtliche Kriegsverbrechen der Deutschen zu relativieren. Ex-Minister Norbert Blüm (CDU) lässt sich gleich dazu hinreißen, die israelische Besetzung palästinensischer Gebiete als »Vernichtungskrieg der Israelis« zu bezeichnen. Mario Dultz, Chefredakteur eines Coburger ›Szene-Magazins‹, der mit der Kampagne »Don't buy Jewish« die Boykotte jüdischer Geschäfte zur Zeit der NS-Herrschaft wieder aufleben ließ, fing sich immerhin eine Anklage wegen des Verdachts der Volksverhetzung ein. Eine Lehre hat er daraus allerdings nicht gezogen - er glaubt sich weiterhin im Recht.

Ohne nennenswerte Proteste hervorzurufen bezeichnet Jassir Arafat, Chef der palästinensischen Autonomiebehörde, Scharon in einer öffentlichen Erklärung als »Terroristen, Rassisten und Nazi« - Legitimation für zahlreiche Friedensdemonstrationen, auf denen nur pro-palästinensische Positionen geduldet werden. BefürworterInnen des Staates Israel können weggeprügelt werden.

Wenn man schon einmal dabei ist, Antisemitismus und Antizionismus salonfähig zu machen, kann man auch gleich JüdInnen und Israelis gleichsetzen und neben der Forderung nach »Freiheit für Palästina« auch das Existenzrecht Israels negieren. »Weggegangen, Platz vergangen« - schließlich waren die PalästinenserInnen zuerst da.

In der Bundesregierung glaubt man, es sei an der Zeit, deutsche Truppen zur ›Friedenssicherung‹ nach Israel zu schicken. Die können da für Zucht und Ordnung sorgen - eine deutsche Spezialität. Die berechtigte Kritik Paul Spiegels, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, mit Blick auf die deutsche Vergangenheit wird von vielen Seiten als übertrieben abgetan. Schließlich schickt man keine Siebzigjährigen.

Damit ist es auch wieder soweit, dass der Bundeskanzler ausgerechnet am geschichtsträchtigen 8. Mai mit dem ausgemachten Geschichtsklitterer Martin Walser dessen antisemitische Thesen diskutieren kann, der uns an dieser Stelle endlich einmal die Ursachen der Nazidiktatur erklärte - ohne Versailler Vertrag hätte es Hitler nicht gegeben, so Walser.

Einfach ist es auch, den JüdInnen selber die Schuld an der wieder auflebenden offen antisemitischen Hetze zuzuschreiben, können sie sich doch so gar nicht benehmen. Das darf jetzt wieder offen gesagt werden, können die Deutschen jetzt doch endlich einmal die Guten spielen und den Israelis moralisierend mit dem erhobenen Zeigefinger drohen.

Der jüdische Psychoanalytiker Zvi Rix hat es auf den Punkt gebracht: »Auschwitz werden die Deutschen uns nie verzeihen«.