Das Goldene Tor

Das Runde muss ins Eckige! Nicht nur: Auch Rassismus ist in Fußballstadien ein weit verbreitetes Phänomen, wie eine Ausstellung dokumentiert. Organisiert wird sie von einem Fanprojekt gegen Rassismus. Von Volker Elste

Eine einzige Schautafel ließ die Wanderausstellung Tatort Stadion. Rassismus und Diskriminierung im Fußball zu einem bundesweiten Medienereignis werden. Auslöser waren Äußerungen des DFB-Präsidenten Gerhard Meyer-Vorfelder, die in der Ausstellung dokumentiert und als rassistisch bewertet wurden. Unter der Überschrift Vorbilder fand sich auf einer Schautafel beispielsweise folgende Aussage Vorfelders vom Oktober 2001: »Wenn beim Spiel Bayern gegen Cottbus nur zwei Germanen in den Anfangsformationen stehen, kann irgendetwas nicht stimmen.« Da die InitiatorInnen vom Bündnis Aktiver FußballFans (BAFF) nicht bereit waren, die umstrittene Schautafel zu entfernen oder zu überarbeiten, zog der DFB seine bereits zugesagte Unterstützung von umgerechnet zirka 5000 Euro zurück. Zudem versuchte der Verband auf Vereine einzuwirken, die Ausstellung nicht weiter zu unterstützen.

Die OrganisatorInnen sehen das Medienecho, das von der Süddeutschen Zeitung über die Frankfurter Rundschau bis zur Zeit reichte, nicht nur positiv. Die eigentliche Zielsetzung der Veranstaltung, nämlich einen Überblick über die rassistische Entwicklung in Teilen der Fanszene seit den Achtzigerjahren zu geben, trete durch die Diskussion um den DFB-Präsidenten in den Hintergrund.

Fangruppen mit offenem Bezug zur Neonazi-Szene waren in den Achtzigerjahren keine Seltenheit. So verteilte beispielsweise die Dortmunder Borussenfront NPD-Materialien in den Stadien. Mitinitiator der Borussenfront war der unter dem Namen »SS-Siggi« bundesweit bekanntgewordene Neonazi Siegfried Borchardt. Die Frankfurter Gruppen Adlerfront und Presswerk unterhielten Kontakte zur Wehrsportgruppe Hoffmann. Zudem versuchten Neonazi-Gruppierungen, in Stadien AnhängerInnen zu gewinnen. »Unter Skinheads und Fußballfans« rekrutiere er die meisten Menschen, meinte 1983 Michael Kühnen, zunächst Führungsmitglied der Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten (ANS/NA), später der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP).

In der Ausstellung werden nach Sachthemen gegliedert Aspekte wie Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball thematisiert. Im Mittelpunkt steht das Verhalten von ZuschauerInnen. So wurde am Rande des Länderspieles Deutschland-Polen 1996 das Horst-Wessel-Lied gesungen. Auch waren Sprüche wie »Schindler-Juden - Wir grüßen Euch« oder »Wir fahren nach Polen, um Juden zu versohlen« zu hören.

Dokumentiert werden aber auch rassistische Aussagen von FunktionärInnen, Spielern und Trainern. So wird beispielsweise Rudi Assauer, der Manager des FC Schalke 04, zitiert: »Der Tscheche, den hörst und siehst Du nicht - absolut pflegeleicht.« Mit dem Polen oder Russen hingegen, so Assauer weiter, passiere ständig etwas. Sei es »mit dem Auto, mit den Landsleuten, mit der Freundin.«

Zwei eigene Schautafeln beschäftigen sich mit dem DFB. Der Verband beteilige sich zwar seit Anfang der Neunzigerjahre mit eigenen Projekten an der Bekämpfung des Rassismus im Fußball, so die OrganisatorInnen. Gleichzeitig verharmlose der DFB jedoch aktuelle rassistische Tendenzen. So sei die Erklärung, die der DFB-Funktionär Horst Schmidt im Jahr 2000 vor dem Europäischen Parlament abgab, einfach falsch: »Damals hatten wir Rassismusprobleme (Anfang der Neunzigerjahre/d. Verf.) … Dies brachte uns dazu, die Kampagne ›Friedlich miteinander - Mein Freund ist Ausländer‹ umzusetzen … Der Erfolg setzte schnell ein. Das Problem ist heute fast verschwunden.«

Begleitend zur Ausstellung ist vor kurzem das Buch Tatort Stadion. Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball erschienen. Es soll, so die Herausgeber Gerd Dembowski und Jürgen Scheidle, die Ergebnisse der Ausstellung vertiefen und »den Fußball im Kontext von Rassismus und Diskriminierung … unter die Lupe nehmen.«

In einem ersten Teil werden Verbindungslinien zwischen rassistischen Tendenzen im Fußball und politischen Entscheidungen gezogen. Die Asylgesetze der Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) und Otto Schily (SPD), aber auch die von der Wirtschaft geforderte Greencard-Aktion der rot-grünen Bundesregierung beurteilen AusländerInnen nach reinen Verwertungskriterien. Eine Entsprechung für den Sport fand diese Haltung im Oktober 2000 im Vorschlag der Innenministerkonferenz (IMK), AusländerInnen aus Nicht-EU-Staaten nicht mehr zu den AmateurInnenligen zuzulassen. Im Gegensatz zu ausländischen Profis könnten ausländische AmateurInnen, so hieß es in der Begründung, deutsche Vereine nicht an die internationalen Spitze bringen. Das sächsische Innenministerium wollte daher AusländerInnen aus Nicht-EU-Staaten in den Amateurligen die Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung verweigern. Hierdurch würden die Chancen für sächsische und deutsche Talente verbessert, wird der sächsische Kulturstaatsminister Matthias Rößler in dem Beitrag Rote Karte für Fußball-Greencard? Nationale Pässe in den freien Raum wiedergegeben.

Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit Einzelphänomenen wie AusländerInnenfeindlichkeit und Rassismus am Beispiel Duisburg. Im Mittelpunkt steht jedoch der Beitrag Ultra(recht)s in Italien. Übten in den Achtziger- und zu Beginn der Neunzigerjahre in erster Linie englische Hooliganvereinigungen großen Einfluss auf FußballanhängerInnen in Deutschland aus, werden seit Mitte der Neunzigerjahre immer stärker die so genannten Ultras aus Italien zu Vorbildern. Italienische Ultras, die sich teilweise bereits durch ihre schwarze Kleidung an faschistische Organisationen unter Benito Mussolini anlehnen, werden in dem Beitrag unter anderem als »Speerspitze der rechtspopulistischen Regierungskoalition« unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi (Forza Italia) bezeichnet. In Verona veranlassten die Ultras den Präsidenten von Hellas Verona, Giambattista Pastorello, zu der Aussage: »Meine Fans würden es nicht erlauben, den schwarzen Spieler Patrick Mboma zu verpflichten.« Dass dies nicht als Hilferuf verstanden werden kann, macht Jürgen Scheidle in seinem Beitrag deutlich: »Das angebliche Opfer seiner Fans ist tatsächlich Täter in einem medienwirksam initiierten Rassismusdiskurs in Italien.« Scheidle sieht darin jedoch nur den vorläufigen Höhepunkt eines bereits lange existierenden Phänomens. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den israelischen Fußballspieler Ronnie Rosenthal, dessen Vertrag bei Udinese Calcio 1990 aufgelöst wurde, ohne dass Rosenthal ein Spiel bestritten hatte. Der Präsident habe sich mit der Vertragsauflösung dem Druck seiner rassistischen Fans gebeugt, urteilt Scheidle.

Zuletzt werden in mehreren Beiträgen verschiedene Faninitiativen gegen Rassismus im Fußball vorgestellt, unter anderem BAFF, das zu Beginn Bündnis Antifaschistischer FußballFans hieß, und der Verein Roter Stern Leipzig, der sich mit eigenen Mannschaften am Spielbetrieb des DFB beteiligt.

Als Vorwort ist zudem die Rede des Berliner Profis und Vorstandsmitglieds der Vereinigung deutscher Vertragsfußballer (VdV), Michael Preetz, zur Ausstellungseröffnung in Berlin abgedruckt. Als Folge der öffentlichen Diskussion beendete Preetz seine Schirmherrschaft über die Ausstellung. Er warf den OrganisatorInnen unter anderem vor, die Konzeption nach der Eröffnungsveranstaltung in Berlin verändert zu haben: »Unter der veränderten Situation bin ich nicht weiter bereit für die Schirmherrschaft zur Verfügung zu stehen und distanziere mich insbesondere davon, den DFB-Präsident mit rechtem Gedankengut zu verbinden.«

Neuer Schirmherr ist seit Mitte Februar 2002 der ehemalige Tübinger Rhetorikprofessor Walter Jens. Bereits 1975 hatte Jens in einer Festansprache zum 75-jährigen Bestehen des DFB den Verband aufgefordert, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Eine bis heute nicht eingelöste Aufforderung, wie Arthur Heinrich in seinem Buch Der Deutsche Fußballbund. Eine politische Geschichte schreibt. Die Aufarbeitung seiner Geschichte durch unabhängige WissenschaftlerInnen halte der DFB im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen oder Versicherungen wohl für überflüssig.

Die Ausstellung und weitere Termine sind im Internet unter www.tatort-stadion.de zu finden. Hier werden auch Artikel und Pressemitteilungen zu der Ausstellung dokumentiert.Gerd Dembowski, Jürgen Scheidle (Hg.), Tatort Stadion. Rassismus, Antisemitismus und Sexismus im Fußball, Papyrossa Verlag, Köln 2002, 12,90 Euro.