Zwischen Reform und Revolte

Zur Geschichte der Antiglobalisierungsbewegung – Teil 2 Von Gerhard Klas

Neben Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen haben sich innerhalb der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung auch milieuübergreifende, internationale Netzwerke herausgebildet. Das in Europa bekannteste ist ATTAC, gegründet von der Zeitung Le Monde Diplomatique, das vor allem die Kontrolle der Finanzmärkte fordert. Daneben existiert Peoples Global Action, ein Zusammenschluss von Gruppen, die sich am Politikverständnis der mexikanischen ZapatistInnen orientieren. Das im Februar 1998 in Genf gegründete Netzwerk lehnt Lobbyarbeit ab und veranstaltet statt dessen regelmäßig sogenannte Global Action Days.

Im Dezember 1997 lancierte ein Leitartikel des Chefredakteurs der Monatszeitung Le Monde Diplomatique, Ignacio Ramonet, die Idee, »auf weltweiter Ebene« eine Nichtregierungsorgansiation (NGO) ins Leben zu rufen, »um Druck auf die Regierungen zu machen, damit sie endlich diese internationale Solidaritätssteuer« einführen. Gemeint war damit die durch den US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler James Tobin Ende der Siebzigerjahre vorgeschlagene Steuer auf internationale spekulative Kapitalflüsse. Ramonet schlug auch gleich einen möglichen Namen für diese NGO vor, nämlich ATTAC - »Aktion für eine Tobin-Steuer als Hilfe für die Bürger« (Action pour une Tax Tobin d'aide aux citoyens). Die Initialen sollten, aufgrund ihrer sprachlichen Nähe zum französischen Wort attaque, zugleich den Übergang zur »Gegenattacke« signalisieren, nach Jahren der vermeintlich »notwendigen Anpassung an die Globalisierung.«

In Frankreich fiel dieser Appell der in linkssozialdemokratischen Kreisen einflussreichen internationalen Zeitung auf fruchtbaren Boden. Schon die große Streikwelle Mitte der Neunzigerjahre hatte das kritische Bewusstsein vieler FranzösInnen gegenüber dem Neoliberalismus geschärft, dessen internationale Dimension durch die Asienkrise Ende 1997 nochmals verdeutlicht wurde. Heute hat ATTAC mehr als 30000 individuelle und institutionelle Mitglieder: Menschenrechtsorganisationen, Umweltgruppen, Gewerkschaften, Erwerbslosenorganisationen und Antirassismusinitiativen - aber keine Parteien, denn ATTAC will mehr sein als ein »Kartell von politischen Strömungen.«

Die Aktivitäten haben sich schnell über den Bereich der Tobin-Tax und die »demokratische Kontrolle der Finanzmärkte« hinaus ausgeweitet. Mittlerweile umfasst der Tätigkeitsbereich von ATTAC auch die Handelspolitik der Welthandelsorganisation (WTO), die Verschuldung der dritten Welt und die Privatisierung der staatlichen Sozialversicherungen und öffentlichen Dienste.

Inzwischen gibt es ATTAC in 26 afrikanischen, europäischen und lateinamerikanischen Ländern. Selbst in einer Diktatur wie Tunesien entstand ein ATTAC-Ableger namens RAID (»Sammlung für eine internationale Entwicklungsalternative«), der jedoch zu einer Hauptzielscheibe staatlicher Repression und im Jahr 2000 weitgehend zerschlagen wurde.

Globalisierung menschengemacht

In Deutschland hatten im Januar 2000 mehrere NGO, darunter WEED (Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung), die Initiative für ATTAC-Deutschland (ATTAC-D) ergriffen. ATTAC-D hat sich zum Ziel gesetzt, der Ohnmacht ein »Gefühl der Hoffnung entgegenzusetzen«, so Werner Rätz, Mitarbeiter im Koordinierungskreis, denn es handele sich bei den ökonomischen Verhältnissen nicht um Sachzwänge, sondern diese »sind von Menschen gemacht und deshalb veränderbar.« »Globalisierung«, führt ATTAC-Sprecher Felix Kolb weiter aus, sei »kein unaufhaltsamer Prozess zum Wohle aller Menschen, sondern ein politisches Programm mit wenigen Gewinnern und vielen Verlierern.« Sie werde auf Druck transnationaler Konzerne und Kapitaleigner vor allem von den Regierungen westlicher Industriestaaten vorangetrieben. »Wir wollen Menschen Mut machen, sich dieser Machart der Globalisierung zu widersetzen und durch Selbstorganisation politische Gegenmacht zu entwickeln«, erklärt Kolb. In Deutschland haben über achtzig Organisationen und viele prominente Einzelpersonen die von ATTAC verfasste »Erklärung für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte« unterzeichnet.

Wegen ihrer heterogenen Zusammensetzung und ihrer stärkeren Einbindung von Gewerkschaften und VerbraucherInnenverbänden ist vor allem die französische Mutterorganisation eine nähere Betrachtung wert. »In ATTAC sind Organisationen zusammengekommen, die anderswo zum Teil in Konkurrenz zueinander stehen«, sagt Pierre Rousset, Mitarbeiter der Abteilung ›Internationales‹ bei ATTAC Frankreich. Als besonderen Fortschritt beschreibt er die Verbindung zwischen Stadt- und Landbevölkerung. Die Confédération Paysanne, französischer Ableger des internationalen Kleinbauernverbandes Via Campesina, gehört zu den Gründungsorganisationen von ATTAC in Frankreich. »Dass sich eine städtische Bevölkerung im Kampf eines Bauernverbandes wiederfindet, sagt viel über die Krise des herrschenden Gesellschaftsmodells aus«, meint Rousset. Es werde zunehmend eine Verbindung zwischen öffentlicher Gesundheit, Nahrungsmittelproduktion und ökologischen sowie sozialen Forderungen gesehen.

Gestritten wird bei ATTAC in Frankreich mit viel Elan. Bernard Cassen, 1998 zum ATTAC-Vorsitzenden gewählt und derzeit Direktor der Le Monde Diplomatique, spricht sich für eine stärkere politische Regulierung der Weltökonomie aus. Diese könne nur durch die Nationalstaaten - eventuell in einer Union wie der EU zusammengeschlossen - erfolgen, deren Rolle gegenüber den internationalen Finanzmärkten gestärkt werden müsse. Im Hintergrund steht die Idee eines sozialstaatlichen Modells der Siebzigerjahre. Auch die Gruppe Raison d'agir um den französischen Intellektuellen Pierre Bourdieu sieht den Staat als mögliches Bollwerk gegen die »Globalisierung« und schreibt auch der EU eine positive Rolle zu, wenn sich endlich die Ausrichtung der Politik ändere. Auf der anderen Seite stehen eher bewegungsorientierte, internationalistische Ansätze, die nicht auf die Nationalstaaten und ihre Regierungen setzen, sondern diese tendenziell als Instrument der dominierenden ökonomischen Kräfte begreifen.

Programmatische Differenzen

Auf einem internationalen Treffen unter dem Titel Ein Jahr nach Seattle, das ATTAC zusammen mit mehreren PartnerInneninitiativen im vergangenen Winter in Paris veranstaltete, kamen die politischen Differenzen deutlich zum Ausdruck. Auf dem Podium stellte der marxistische Intellektuelle Michael Löwy gegenüber den RegulierungsbefürworterInnen vor zweitausend TeilnehmerInnen klar, die anzustrebenden »Alternativen zum Neoliberalismus« seien in seinen Augen notwendigerweise »Alternativen zum Kapitalismus selbst.« So halte er die Idee einer »Rückkehr zum nationalstaatlichen Klassenkompromiss der Jahre 1945-1975 für illusionär.« Im übrigen dürfe man nicht vergessen, dass dieser Kompromiss in den Industrieländern »auf der Grundlage einer Serie imperialistischer Kriege beruhte, z.B. in Algerien und Vietnam.« Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Le Monde Diplomatique-Autorin Catherine Samary ging ihrerseits hart mit französischen VorrednerInnen der Regierungsparteien ins Gericht, die zuvor die EU als mögliches Regulierungsorgan der internationalen Ökonomie dargestellt und dabei verschwiegen hatten, welche reale Rolle die EU in der Weltwirtschaft spielt.

Ähnliche Kontroversen kristallisieren sich in den letzten Monaten auch bei ATTAC in Deutschland heraus. Ein Auslöser war das Interview der WEED-Vorsitzenden Barbara Unmüßig mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) im April diesen Jahres. Die NGO WEED, deren Vertreter auch im Koordinierungsausschuss von ATTAC sitzen, »zählt sich nicht zu den Globalisierungsgegnern, sondern verlangt nach politischen regulativen Eingriffen, um die negativen sozialen und ökologischen Folgen der Globalisierung zu verhindern«, sagte Unmüßig gegenüber der FAZ. »Wir fordern nicht die Abschaffung des Internationalen Währungsfonds (IWF), sondern beschäftigen uns mit der Frage, wie der IWF reformiert werden kann.« Spätestens ihr Bedauern darüber, dass der Dialog zwischen ATTAC und der »deutschen Wirtschaft allenfalls am Anfang« stehe, löste massive Kritik bei einigen Regionalgruppen aus. »Dem richtungsblinden freien Markt Grenzen zu ziehen und ordnungspolitische Ziele vorzugeben, reicht nicht aus«, meinte etwa Rudolf Stratmann von der ATTAC-Regionalgruppe in Hamburg, vielmehr seien Konzepte erforderlich, »wie die gesamte Reichtumsproduktion im Allgemeininteresse zu gestalten und zu verteilen ist.«

Peoples Global Action

Das 1998 gegründete Netzwerk Peoples Global Action (PGA) orientiert sich am Politikverständnis der mexikanischen ZapatistInnen und veranstaltet regelmäßige Global Action Days. Anlässlich des Kölner G-8-Gipfels im Juni 1999 organisierte es eine »Interkontinentale Karawane.« Fünfhundert BäuerInnen, die meisten aus Indien, aber auch VertreterInnen der brasilianischen Landlosenbewegung MST, tourten für mehrere Wochen durch Europa und konfrontierten die Bevölkerung, aber auch die in der EU ansässigen Konzerne mit ihrer Situation.

Im Sommer 1999 fand auch ihre zweite Konferenz im indischen Bangalore statt, denn dort befindet sich die größte Organisation, die sich PGA zugehörig fühlt: die indische Bauernorganisation KRRS, der nach eigenen Angaben zirka zehn Millionen Mitglieder angehören. Seit ihrem dritten Aktionstag zur ›Millenniumsrunde‹ der WTO reklamiert PGA, dass es erstmals »einer breiten Allianz« gelungen sei, »in der kurzen Geschichte der globalen Aktionstage (…) eine Konferenz der selbsternannten ›Global Leaders‹ zum Scheitern zu bringen und damit einen ersten Sieg zu erringen.«

Diese eklatante Fehleinschätzung verweist auch umgehend auf die Schwäche von PGA: ihre Analyse der Kräfteverhältnisse ist zumeist pauschal und undifferenziert. Denn das WTO-Ministertreffen ist nicht in erster Linie an den Protesten gescheitert, sondern aufgrund interner Differenzen, die sowohl zwischen der EU und den USA, aber auch mit vielen Regierungen aus dem Süden bestanden. Auch der Rolle der EU in der Weltwirtschaft wird von PGA nur wenig Bedeutung beigemessen.

Ihren inhaltlichen Ansatz weisen sie mit einem Manifest aus. Dieses Papier zählt zwar alle gesellschaftlichen Widersprüche von Kapitalismus bis Sexismus auf, bleibt aber im wesentlichen auf einer beschreibenden Ebene und lässt jede Reflexion der Geschichte und der Erfahrungen der historischen Arbeiterbewegung vermissen. PGA setzt statt dessen auf Spontaneität, Selbstverwaltung und eine »konfrontative Haltung gegenüber dem System.«

Im Gegensatz zu ATTAC gibt es keine formelle Mitgliedschaft von Einzelpersonen. Jeder Kontinent muss allerdings eine verantwortliche Gruppe stellen, die für die internationale Koordinierung der Aktionstage delegiert ist und die internationalen Konferenzen mit vorbereitet. In Europa ist das zur Zeit die italienische Gruppe Ya Basta!, die dort vor allem in den Centri Sociali verankert ist und sich der Arbeit gegen staatlichen Rassismus widmet. Neben phantasievollen Aktionen bedienen sie sich dabei gerne einer propagandistischen Sprache und beschreiben die gesellschaftliche Realität als »vierten Weltkrieg gegen Migrantinnen und Migranten.« Ihre VertreterInnen in der Bundesrepublik sind sehr bemüht, sich von anderen Ansätzen, wie ATTAC, abzugrenzen. Sowohl Gewerkschaften als auch NGO sind ihnen grundsätzlich suspekt. Auf diesem Weg in die Selbstisolation gelingt es ihnen nicht, nennenswerte Unterstützung anderer gesellschaftlicher Gruppen zu bekommen. Dabei ist ihr Vorwurf des »Reformismus«, den sie oft mit der ATTAC-Forderung nach einer Besteuerung der Finanzmärkte zu belegen glauben, durchaus in ihren eigenen Reihen virulent. Denn ausgerechnet die Delegierten von Ya Basta! in der internationalen Koordination, befürworten ebenfalls eine Besteuerung der grenzüberschreitenden Finanztransaktionen.

Internationale Strukturen

Vereinfachend könnte man festhalten, dass PGA ein loses Netzwerk mit einem allgemeinpolitischen Anspruch und äußerst eingeschränkten taktischen Möglichkeiten ist, ATTAC hingegen über eine verbindlichere Struktur verfügt, sich auf wenige, manchmal reformistische Forderungen konzentriert und verschiedene Wege zur Umsetzung offen hält. Doch es gibt noch weitaus mehr internationale Strukturen, die hier nur kurz erwähnt werden sollen. Zum Beispiel spielt Via Campesina vor allem in den Ländern des Südens eine tragende Rolle. In Europa ist der Franzose Jose Bove mit seinen Aktionen gegen Freihandel und McDonalds bekannt geworden. Aus Lateinamerika genießt vor allem die brasilianische Landlosenbewegung MST durch ihre spektakulären Landbesetzungen einen gewissen Bekanntheitsgrad.

Vor allem die WTO ist in ihrem Blickfeld, denn die Bauernorganisation ist im Gegensatz zur WTO grundsätzlich gegen eine Exportorientierung in der Landwirtschaft und setzt sich statt dessen für die Ernährungssicherheit der Regionen ein. Das bedeutet, dass jede Region der Welt in der Lage sein sollte, die dort lebende Bevölkerung mit heimischen Agrarprodukten zu ernähren. Ein weiteres, themenzentriertes Netzwerk aus dem Süden ist Jubilee South. Es hat sich die bedingungslose Schuldenstreichung und Reparationen für alle Länder der dritten Welt auf die Fahnen geschrieben.

All diese unterschiedlichen Netzwerke und Organisationen sind im Januar dieses Jahres erstmals zum ›Weltsozialforum‹ im brasilianischen Porto Alegre zusammengetroffen - zeitgleich zu dem seit 1971 stattfindenden Weltwirtschaftsforum von Konzernmanagern und Wirtschaftspolitikern im Schweizer Nobelort Davos. Zwischen beiden Treffen wurde ein Streitgespräch via Direktübertragung organisiert, das live im brasilianischen Fernsehen übertragen wurde. Dabei musste George Soros, eine der zentralen Figuren in Davos, immerhin einräumen, dass der »Weltkapitalismus ein Spielfeld mit sehr ungleichen Bedingungen« schaffe und dass es »etwas gibt, wogegen man im globalen Kapitalismus protestieren kann.« Aber mehr wollte er nicht zugestehen. Die massiven Proteste hätten allerdings laut Soros unter den Teilnehmern von Davos Unruhe ausgelöst, die es früher so nicht gegeben hätte. Insgesamt waren in Porto Alegre 117 Länder vertreten, mit mehr als 10000 TeilnehmerInnen. Neben zahlreichen NGO und Basisbewegungen waren auch vierhundert ParlamentarierInnen anwesend.

Über Perspektiven diskutiert wurde sowohl in Porto Alegre als auch auf der von ATTAC veranstalteten Parallelkonferenz Das andere Davos in Zürich. Dort betonten Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats von ATTAC die Bedeutung der »Eigentumsfrage«. »Wenn man wirklich das Ziel verfolgt, die demokratische Frage par excellence anzugehen - die Kontrolle der assoziierten Produzenten über die Arbeitsmittel, die durch ihre Intelligenz und ihre Arbeit angehäuft wurden - dann stößt man unumgänglich auf das Problem des Eigentums an den Produktions-, Kommunikations- und Tauschmitteln«, argumentierten François Chesnais, Claude Serfati und Charles-André Udry. Die Autoren des gemeinsamen Positionspapiers sind der Ansicht, dass die »Antiglobalisierungsbewegung« fähig sein müsse, sich auf die »von den grundlegendsten Kritikern des Kapitalismus erarbeiteten theoretischen Fundamente - deren Erneuerung natürlich im Lichte der Erfahrungen des 20. Jahrhunderts sowie der Entwicklung des gegenwärtigen Kapitalismus und Imperialismus unumgänglich ist - zu stützen und darauf aufzubauen.«

Zankapfel Tobin-Tax

Über die Verwendung der Tobin-Tax, die - sollte sie eines Tages eingeführt werden - bei einem Prozentsatz von 0,1 immerhin um die einhundert Milliarden Dollar jährlich einbringen würde, bestehen noch Differenzen. Während einigen NGO aus dem Umfeld der Vereinten Nationen vor allem die Finanzierung dieser Institution einfällt, schweben Ya Basta! und PGA eine finanzielle Grundsicherung für alle WeltbewohnerInnen vor. ATTAC will die Summe »für den Kampf gegen soziale Ungleichheit, für die Bildung, das öffentliche Gesundheitswesen und für die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln in den ärmeren Ländern einsetzen.«

Die Kampagne für eine Tobin-Tax hat viele UnterstützerInnen gewonnen. Während vor allem die USA und Großbritannien sich vehement gegen die Steuer stellen, gibt es beispielsweise in der kanadischen Regierung einige BefürworterInnen. ParlamentarierInnen aus Brüssel wollen während der belgischen EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte einen Vorstoß zur Einführung dieser Steuer in der EU machen. Spätestens beim nächsten Weltsozialforum in Porto Alegre dürfte auch die zunehmende Repression gegen die Bewegung einerseits und die verstärkte Einbindung einiger NGO in die supranationalen Institutionen andererseits zur Sprache kommen.

Neben diesen Problemen praktischer Natur gibt es auch theoretische Fragestellungen zwischen den beiden Polen am linken und rechten Rand der Bewegung. Kann der Nationalstaat ein neutraler Mittler zwischen den Interessen sein, oder ist er vielmehr Garant der kapitalistischen Reproduktion? Einen weiteren Stolperstein sehen vor allem KritikerInnen aus Deutschland und Österreich in der »verkürzten Kapitalismuskritik« einiger GlobalisierungsgegnerInnen, die sich lediglich auf die Finanzmärkte konzentrieren. Vor allem in Ostdeutschland ist die »Globalisierung« auch zum Feindbild der NPD avanciert, die diesen Begriff natürlich ausschließlich mit »ausländischem Kapital« gleichsetzt, dass es zu bekämpfen gelte.

Konsensfähig sind hingegen der erweiterte Menschenrechts- und Demokratiebegriff, denen im Gegensatz zu konservativen und liberalen Deutungsmustern die »Antiglobalisierungsbewegung« eine soziale und wirtschaftliche Dimension hinzufügt. In seinem neuen Buch Le monde nous appartient (»Die Welt gehört uns«) registriert der Franzose Christophe Aguiton, einer der Geburtshelfer der internationalen Bewegung und ATTAC-Aktivist, einen »Einfluss, der über genügend Kraft verfügt, den Gang der Dinge zu verändern.« Tatsächlich hat die Bewegung das Potenzial, zu einer politischen Kraft zu werden, die für eine gesellschaftliche Alternative steht. Ihre internationale Perspektive, ihre politische Praxis, die Beteiligung antikapitalistischer Kräfte und Ansätze von Parallelstrukturen könnten Anzeichen dafür sein. Nun sei es an der Zeit, sich auf konkrete gemeinsame Handlungskonzepte zu einigen, die »denen ganz unten - den Bauern der dritten Welt, den Erwerbslosen, den Arbeitern und den Jugendlichen die besten Möglichkeiten eröffnen, ihren Stimmen Gehör zu verschaffen«, meint Aguiton, denn es handele sich um einen »entscheidenden Moment in der Weltgeschichte.«

Gerhard Klas ist Redakteur der Sozialistischen Zeitung - SoZ. Teil 1 ist unter dem Titel »Summer of resistance« in philtrat nr. 42 erschienen. Der Text wurde zuerst als Serie in der Tageszeitung Junge Welt veröffentlicht.