Identität verzweifelt gesucht

Die Künstlerin Pau Quintanajornet wusste immer, was sie wollte, nur nicht wer sie war. Erst eine Reise in ihr Heimatland ließ sie zu sich selbst finden. Ein Portrait. Von C. Wienen

Pau Quintanajornet

Das Urban Art Festival CityLeaks lockte im September über 40 internationale KünstlerInnen nach Köln. Das Festival bot der Streetart-Szene eine Plattform für Events und Ausstellungen - und 33 Hausfassaden, die bemalt werden durften. Eine Künstlerin setzte sich für die Anreise nur auf ihr Fahrrad: Die Wahlkölnerin Pau Quintanajornet. In Ehrenfeld malte sie ein so genanntes Mural, ein Wandbild. Zusätzlich konnte sie einige ihrer Bilder in der Ehrenfelder Rheinlandhalle ausstellen.

Pau lächelt viel, fuchtelt ein wenig mit den Händen beim Reden und streicht sich oft das schwarze lange Haar zurecht. Ihre Wohnung ist ein großer Raum mit einer kleinen offenen Küche. Das Bett hat sie in die Ecke gequetscht. Der restliche Platz gehört der Arbeit. Drei Tische werden von Regalen mit Pinseln, Farben und Spraydosen gesäumt. An der Wand lehnen große Holzplatten, auf denen Pau ihre Bilder anfertigt. Überall hängen Bilder, Gebasteltes und Geschenke von FreundInnen und Familie.

Paus Familie flieht 1985 aus Chile über die Anden. Pau ist damals zwei Jahre alt, ihren 15 Tage alten Bruder tragen die Eltern in einem Schuhkarton. In Argentinien bleiben sie sechs Monate und drohen zu verhungern. Es fehlt an Arbeit, an Geld. Schließlich dürfen sie in die DDR einreisen, sodass Pau in Jena aufwächst. Der Vater promoviert in Sportwissenschaft, die Mutter studiert Germanistik. Nach der Wende verändert sich die Stimmung, sie ziehen wegen zunehmender Fremdenfeindlichkeit von Thüringen nach Würzburg. Auf einmal ist sie nicht mehr die Ausländerin: Plötzlich ist sie Ossi. Ihr Notendurchschnitt rutscht von 2,0 auf 5,0, das Schulsystem in Bayern liegt ihr nicht. Mit 15 Jahren überredet sie ihre Eltern und zieht mit der ein Jahr älteren Cousine nach Berlin. »Berlin war für mich der Inbegriff von Freiheit«, erklärt sie. »Meine Eltern hatten wohl ein Urvertrauen, dass ich das schon richtig machen werde.« Tatsächlich organisiert Pau ihren Alltag gut allein und macht ihr Abitur. Jetzt interessiert sie sich für Graffitis und Tags, wodurch sie bald beginnt die Straßen Berlins als Kunstort wahrzunehmen.

Pau wollte immer Künstlerin oder Astronautin werden. Das Studium zum Flugzeugbau kann sie nicht antreten: die USA verweigern der Chilenin die Einreise. Also schreibt sie sich nach ihrem Abi für Grafikdesign in Berlin ein. »Das war nicht ganz das, was ich machen wollte, aber ein Studium der Freien Kunst hab ich mir nicht zugetraut. Ich dachte, dafür würde ich ewig brauchen.« Sie beschäftigt sich immer wieder mit ihrer Identität und den verschiedenen Kulturen, die sie erlebt hat - das Thema lässt sie nicht los. Zur Diplomarbeit empfehlen die ProfessorInnen ihr, Zeit in ihrem Heimatland zu verbringen. Sie verkauft all ihre Habseligkeiten und packt zwei Koffer. Sie fliegt für drei Monate nach Chile - und bleibt zwei Jahre.

Chile ist ein Paradies für WandmalerInnen, denn es gilt als Teil der Kultur, es ist erlaubt und gerne gesehen. »Jeden Tag oder zumindest jedes Wochenende habe ich gemalt. Meine erste Wand war furchtbar schlecht, aber man malt einfach weiter.« In der folgenden Zeit lernt sie viele KünstlerInnen kennen, beginnt kleine Ausstellungen zu organisieren und findet FreundInnen.

Sie scheint nun ihre Identität gefunden zu haben und kehrt nach Deutschland zurück. Sie hat chilenische Wurzeln, eine DDR-Prägung und BRD-Erfahrung. Sie bewegt sich nicht mehr zwischen den Kulturen, sondern vereint sie jetzt. Das Diplom lässt sie sich per Post schicken, es war ihr nicht mehr wichtig.

Vor zwei Jahren zieht sie aus der Hauptstadt ins Belgische Viertel in Köln. »Berlin ist voller Kunst, es ist überladen, ich brauchte einen neuen Raum«, erklärt sie.

Ihre neueren Bilder beziehen sich auf die mythischen Schöpfungsgeschichten der verschiedenen Kulturen. Ihre weiblichen Figuren malt sie mit schwarzen, klaren Linien, vielen Farben und Anmut. Das Auge bleibt an den Details hängen. Auf ihrer Vernissage im Rahmen des CityLeaks-Festivals ist ihre Familie sichtlich stolz. Ausgelassen unterhalten sich die Eltern mit Paus FreundInnen, beobachten die BesucherInnen vor den Werken der Tochter. Während des Festivals trifft sie viele FreundInnen aus ihrer Zeit in Chile.

Im Belgischen Viertel fühlt sie sich sehr wohl. Beim Gang zum KölnKiosk trifft sie vier Freunde, mit denen sie teilweise direkt die nächsten Projekte bespricht. Sie bemalt Skateboards und nimmt an verschiedenen Kunstevents teil. Im Kiosk hängt ein Werk von ihr, den Laden selbst hat sie auch angemalt. Ein weiteres, kleines Puzzlestück hat sie in den letzten zwei Jahren ihrer Identität hinzu gefügt: Kölnerin im Belgischen Viertel zu sein. »Ich möchte jedoch noch mal weiter, nächstes Jahr werde ich nach Argentinien gehen. Ich brauche mal wieder eine Veränderung.«

Was ist Urban Art?

Urban Art ist ein Oberbegriff für Kunst im öffentlichen Raum. Meist bezieht die Urban Art die architektonischen Begebenheiten ein. Dazu zählen Graffitis aus der Spraydose, mit Schablonen (Stencils) produzierte Bilder, auf Papier gemalte und an die Wand gekleisterte Werke (Paste-ups), Fassadenbilder (Murals), aber auch Aufkleber, Installationen oder Strickkunst. Die Künstler bringen ihre Werke teilweise illegal an die Häuser, Mauern, Brücken oder Stromkästen und sie werden auch strafrechtlich verfolgt. In den letzten Jahren hat die Kunstszene die teils sozialkritischen Werke für sich entdeckt. In Deutschland ist Berlin das Zentrum der Szene, mit dem CityLeaks-Festival konnte Köln viele KünstlerInnen und Fans anlocken und sich positionieren.

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