Kultur für alle und für umme

Dafür und dagegen XV: Autonome Zentren gründen und dafür Häuser besetzen - Ja oder Nein? Von Julia Groth, Nina Weinbrenner

dafür

Viele Menschen haben altbackene Vorurteile gegen Autonome Zentren. Aus ihrer Sicht handelt es sich um Orte für Nichtsnutze, Arbeitslose, Obdachlose oder KrawallmacherInnen, die einfach nur Spaß daran haben, Gebäude zu besetzen, aber sonst nichts aus ihrem Leben machen. In Wirklichkeit - und ganz konkret in Kalk - sieht das Ganze aber anders aus. Autonome Zentren bieten Menschen in jedem Alter und unabhängig von ihrem sozialen oder kulturellen Hintergrund die Möglichkeit, andere Gleichgesinnte zu treffen und an politischen und kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen oder sie aktiv mit zu gestalten. Die angebotenen Veranstaltungen sind vielfältig und in den meisten Fällen umsonst. Das ist ein zentraler Punkt. Wo sonst können politische Gruppen und Bands proben und sich treffen ohne gleich 50 Euro im Monat blechen zu müssen?

In den meisten Städten mangelt es an freien Räumen für solche Zentren, obwohl es viele Gebäude gibt, die überhaupt nicht genutzt werden. Um ihre Ideen verwirklichen zu können, bleibt den AktivistInnen kaum etwas anderes übrig, als Häuser zu besetzen. Deshalb kann man die Besetzungen nicht als unangemessen bezeichnen. Vielmehr wäre es Aufgabe der Städte, den Menschen mehr Freiräume zu bieten. Denn dass der Bedarf nach so einem Ort da ist, sieht man an den Hunderten Menschen, die sich schon in den ersten Wochen des Kalker Autonomen Zentrums beteiligten. Vom Kabelverlegen bis zum Capoeira-Kurs - unzählige Menschen hatten Lust, sich einzubringen.

Es geht nicht darum, eine Party zu feiern, sondern sich frei politisch und kulturell zu engagieren und das ist in jedem Fall unterstützenswert. Das Autonome Zentrum in Köln sowie die anderen bereits existierenden Autonomen Zentren sollten ein Beispiel für andere Städte sein, ebenfalls aktiv zu werden und den Verantwortlichen zeigen, dass solche Freiräume unterstützt und nicht kriminalisiert werden sollten.

Nina Weinbrenner

dagegen

GründerInnen Autonomer Zentren betonen gern, dass sie Freiräume schaffen wollen. Für ein selbstbestimmtes Leben. Für linke Kultur. Irgendwie so etwas. Jetzt gibt es in Köln wieder ein Autonomes Zentrum, in einem besetzten Haus im Stadtteil Kalk. Und was machen die AktivistInnen dort? Sie nähen, gucken Filme, diskutieren über Musik und manchmal vielleicht auch ein bisschen über Politik. Sie tun, kurz gesagt, Dinge, die sie ebenso gut zuhause tun könnten. Zum Nähen braucht man keine neuen Freiräume. Nähen kann man jederzeit und überall, auch ohne dass einem die kapitalistische Verwertungslogik über die Schulter schielt. In Autonomen Zentren treffen sich keineswegs Menschen, die sonst keinen Ort haben, an dem sie sich entfalten können. Sondern Menschen, die sich schon immer überall entfalten konnten. Menschen, die lediglich Lust haben, sich gemeinsam zu entfalten, und aus schwer nachvollziehbaren Gründen der Ansicht sind, das Recht auf Gruppen-Nähen rechtfertige es, ein Haus zu besetzen.

Autonome Zentren sind, und das ist das eigentliche Problem, Horte der Spießigkeit. BildungsbürgerInnen wollen dort mal so richtig politisch und alternativ sein - und verstehen darunter nicht mehr als Independent-Filme gucken und über den Staat diskutieren. In der Regel sind die AktivistInnen nicht nur spießig, sondern auch intolerant: Vegane Volxküche für alle, und wer ein Schnitzel mitbringt, muss sich TierrechtlerInnentiraden anhören. »Autonomes Zentrum« heißt Wohlfühldiskussionen, drittklassige Konzerte und sich dabei ganz, ganz revolutionär fühlen. Echte RevolutionärInnen könnten mit einem solchen Zentrum überhaupt nichts anfangen. Würden sie sich dort treffen, wüsste die Staatsmacht ja, wo sie zu finden sind. Fazit: RevolutionärInnen in den Untergrund, linke SpießerInnen auf den Biobauernhof. In die besetzten Häuser können dann Menschen einziehen, die tatsächlich Bedarf für ein neues Dach über dem Kopf haben.

Julia Groth