Drei Schatten

Loslassen lernen Von Julia Groth

Der Comic Drei Schatten des Spaniers Cyril Pedrosa mag auf den ersten Blick aussehen wie Fantasy. Auf den zweiten Blick ist das Buch jedoch viel mehr: Familientragödie, Abenteuergeschichte und Lehrstück über Trauerarbeit. Pedrosa verwebt so viele Elemente miteinander, dass man meinen sollte, sie könnten sich nicht zu einem einzigen Comic zusammenfügen lassen, zumal sich auch der Zeichenstil entsprechend wandelt. Können sie aber doch. Am Anfang steht ein Herr der Ringe-ähnliches Szenario: Der kleine Joachim lebt mit seinen Eltern in einem abgeschiedenen Haus zwischen Wiesen und Wäldern. Alles ist in bester Ordnung, bis drei berittene Schatten auftauchen, die sich nicht greifen lassen und Joachim offenbar Böses wollen. Joachims Vater kann das nicht zulassen - und so beginnt die Abenteuergeschichte: Vater und Sohn flüchten Hals über Kopf in ein anderes Land. Sie müssen auf einem mit EmigrantInnen völlig überfüllten Schiff Hunger, Gewalt und Korruption erleben und bekommen doch kein Happy End. Denn dann erst beginnt der ernsteste Teil des Buches, mit Zeichnungen, deren Stil teils zwischen Expressionismus und Kindermalbuch liegt, aber immer passend gewählt ist. Der Teil, der besonders anrührt und über das hinausgeht, was westliche Comics sich üblicherweise zu erzählen trauen. Der Teil, in dem klar wird, wer die Schatten sind und was sie wollen, und in dem Joachims Vater es nicht schafft, das zu akzeptieren, obwohl sein eigenes Leben auf dem Spiel steht. Drei Schatten hätte an vielen Stellen schief gehen können, so viele Risiken geht Pedrosa damit ein. Nicht nur, dass es sich nicht zum Gesamtwerk hätte fügen können. Das Buch hätte langweilig, kitschig oder unsensibel werden können, die vielen skurrilen Charaktere könnten lächerlich wirken, die manchmal krakeligen Schwarz-Weiß-Zeichnungen anstrengend oder zu grob sein. Pedrosa schafft es aber immer, die Balance zu halten, und legt so ein gut 250 Seiten langes Stück erstklassiger Comic-Literatur vor, für das die 20 Euro bestimmt nicht zu viel verlangt sind. Dem Berliner Nischen-Comicverlag Reprodukt gebührt ein großes Lob dafür, diesen inhaltlich und zeichnerisch wunderbaren Comic herausgebracht zu haben und ihn, entgegen den Gepflogenheiten vieler anderer Verlage, nicht als doppelt so teure Hardcover-Ausgabe konzipiert zu haben. Anspruchsvolle Graphic Novels müssen nicht die teuerstmögliche Verpackung bekommen, um auch anspruchsvoll zu wirken. Wenn sie, wie Drei Schatten, auf dem Comic-Festival in Angoulême als »Bestes Album« ausgezeichnet wurden, schon gar nicht.