Geburt aus dem Geiste der Ohnmacht

Superman wird 70 Jahre alt. Damit ist er eine der beständigsten Figuren amerikanischer Ikonografie und wird das wohl auch weiterhin bleiben. Von Thomas Hemsley

Wer hat nicht schon davon geträumt zu fliegen, einen Röntgenblick zu haben oder unverwundbar zu sein? Wer wünscht sich nicht, einmal ein Held sein zu können? Wer wollte nicht mal den Problemen des Alltags mit großer Macht entgegentreten können - oder einfach nur entfliehen?

Als Superman im Juni des Jahres 1938 auf den Seiten der ersten Ausgabe der Action Comics das Licht der Welt erblickte, bündelten sich in ihm nicht nur die Ohnmachtsgefühle der Heranwachsenden, sondern auch die einer ganzen Nation. Seine jüdischen Schöpfer Jerry Siegel und Joe Shuster destillierten aus alten (Moses, Herkules) und neuen Mythen (Pulpliteratur, Douglas-Fairbanks-Abenteuerfilme) eine Figur, mit der sie zumindest in der Fantasie den persönlichen Unsicherheiten und der Erfahrung der Großen Depression, des aufkeimenden Nationalsozialismus in Europa und des weltweiten Antisemitismus trotzen konnten.

Superman war zwar streng genommen nicht der erste kostümierte Held mit besonderen Fähigkeiten und einer Doppelidentität, trat aber wohl durch seine konzeptionelle Einfachheit eine Welle von Imitationen los und wurde sehr schnell zu einem der größten Multimediaphänomene unserer Zeit. Der Held, der in einer Kleinstadt namens Smallville aufwuchs, arbeitete dann in einer Metropole namens Metropolis

für den Daily Planet als Reporter Clark Kent und kannte auch fast nur Menschen mit alliterativen Namen wie Lois Lane und Lana Lang. Er erhielt 1939 sein eigenes Heft und einen Zeitungsstrip, erlebte ab 1940 Abenteuer im Radio, hatte ab 1941 eine von den Fleischer Studios produzierte Zeichentrickserie und ab 1948 eine Live-Action-Reihe, damals noch im Kino. In der Zeichentrickreihe lernte er auch das Fliegen - er hatte sich vorher mit großen Sprünge beholfen. Ab 1951 gab es dann auch eine Fernsehserie. Auch inhaltlich wurde das Superman-Universum immer umfangreicher: Zu seinem Erzfeind Lex Luthor gesellten sich noch unter anderem Mr. Mxyzptlk, eine Art Rumpelstilzchen aus der fünften Dimension. Desweiteren folgten in den kommenden Jahren Supermans arktischer Rückzugsort, die Festung der Einsamkeit, der fast schon surreale Bösewicht Bizarro, eine Art Negativabzug unseres Helden, seine Cousine Supergirl und verschiedene Sorten Kryptonit, ein Gestein, das Superman seiner Kräfte beraubt. Das bekannteste ist das wie Nervengift wirkende grüne Kryptonit. Am interessantesten ist aber das rote, das immer unterschiedlich wirkt: so hat es Superman schon in einen Drachen verwandelt, in einen Zwerg, Amnesie verursacht, ihn rapide altern lassen oder tollpatschig gemacht.

Es ist wohl kein Zufall, dass Superman - der Film im Jahr 1978 in die Kinos kam und zusammen mit Star Wars zur Speerspitze des modernen effektbeladenen Blockbusterkinos wurde. Nach den gesellschaftlichen Umwälzungen durch die 68er-Generation, dem Vietnamdebakel und Watergate sind die 70er-Jahre vor allem in den USA synonym geworden für Misstrauen gegenüber der Politik, Angst und Kulturpessimismus, kurz: Ohnmacht.

In den 80er-Jahren gab es dann noch drei Filmfortsetzungen und in den Comics war wie bei allen Superhelden Dekonstruktion angesagt, bis Superman dann in den 90ern getötet wurde, und wieder auferstehen durfte.

amerikanischen kollektiven Unbewussten nichts anhaben. Denn auch im 21. Jahrhundert ist Superman noch relevant, gerade auch durch die Erschütterungen, die die Anschläge des 11. September 2001 und die darauf folgenden Kriege verursacht haben. Die Action Comics gehen auf die 870. Ausgabe zu, die Superman-Serie auf die Nummer 680. Und seit 2001 wird mit großem kommerziellem und kritischem Erfolg in der Fernsehserie Smallville die Jugend Clark Kents auf den neuesten Stand gebracht.

Im Jahre 2006 kam dann Superman Returns in die Kinos. Von Bryan Singer inszeniert, dem Regisseur der ersten beiden X-Men-Filme, fiel dieser Film trotz aufwendiger Actionszenen eher poetisch und kontemplativ als bombastisch und effektüberfrachtet aus. Die eindrucksvollste Szene beantwortet vielleicht auch die von Lois Lane gestellte Frage, ob wir Superman denn brauchen würden: Einem Erlösergott gleich schwebt Superman in der Erdumlaufbahn und hört die vielen Gebete und Hilferufe, die auf der Erde in diesem einen Augenblick ausgesprochen werden. Überwältigt von der Menge gibt er sich einen Moment lang der Schwäche hin - für den Bruchteil einer Sekunde will er eben nicht gebraucht werden müssen.

Aber solange es Teenager gibt, die starke Vorbilder brauchen, und die USA trotz und auch wegen großer gesellschaftlicher Schwachpunkte weltweit ihre Allmachtsphantasien ausspielen müssen, wird der ultimative Held zumindest in unseren Träumen und modernen Mythen noch gebraucht.