Bis zur Premiere von To be or not to be bleibt nicht mehr viel Zeit. Die SchauspielerInnen versammeln sich im Keller der Studiobühne. Auf einem Blatt Papier an der Tür steht in großen Buchstaben »Schmiede«. Eine wirkliche Bühne gibt es hier nicht. Auf dem Boden liegt ein Dutzend alter Matratzen, dazwischen eine akustische Gitarre, in der Ecke langweilt sich ein ungenutzter Mikrofonständer. In diesem Raum entsteht das neue Projekt von Hiltrud Kissel, das zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Charakteren gewidmet ist: dem Shakespeare-Antihelden Hamlet und dem Grunge-Idol der Neunzigerjahre Kurt Cobain. »Ich bin großer Nirvana-Fan und Kenner der Grunge-Szene«, sagt Kissel. Als Anglistin hat sie sich lange Zeit mit Hamlet beschäftigt und findet, dass zwischen beiden Figuren eine enge geistige Verwandtschaft besteht. Darauf weise auch Cobains Abschiedsbrief hin. Dort schreibt er: »Ich möchte sterben wie Hamlet.« Der Brief, erzählt Kissel, ziele auf dasselbe ab wie der berühmte Monolog Hamlets über »Sein oder nicht Sein«: Entscheidet man sich für das Ertragen der weltlichen Zustände oder für den selbst gewählten Weg in einen frühen Tod? Die Umsetzung des Stückes treibt die Annäherung der beiden Persönlichkeiten aufs Äußerste. Hamlet und Cobain verschmelzen zu einer neuen, fiktiven Figur. Der Doppelcharakter dieser Rolle findet seinen Ausdruck auf der sprachlichen Ebene. »Die Texte fließen ineinander«, erklärt Kissel. Auf eine Textpassage von Hamlet könne sogleich ein Songtext oder Tagebucheintrag von Kurt Cobain folgen. Zwar orientiert sich das Ensemble am Shakespeare-Stück und an den schriftlichen Hinterlassenschaften von Cobain, viele Textpassagen sind jedoch aus Improvisation heraus entstanden. Inhaltlich folgt das Bühnenwerk keiner stringenten Handlung, sondern ist eher eine Collage verschiedener Lebenssituationen. Auch Traumsequenzen gehören dazu. Der zentrale Schauplatz ist eine Kleinfamilie, deren Mitglieder ebenfalls von jeweils einer Person verkörpert werden. In Doppelrollen treten Hamlets/Cobains Mutter, der Stiefvater/wechselnde Lebensgefährten von Cobains Mutter, Horatio/Bandmitglied und Ophelia/Courtney Love auf. Die Motivation für dieses Stück entstand nicht zuletzt auch aus dem persönlichen Empfinden der Regisseurin, dass die Lebensverzweiflung junger Menschen ein aktuelles Problem darstelle. »Sie nimmt sogar zu«, sagt Kissel. »Die jungen Menschen haben eher pessimistische Einstellungen.« Gleichzeitig will sie aber auch zeigen, dass sich ihre Figuren nicht nur auf der dunklen Seite des Lebens bewegen, sondern sich auch nach Liebe sehnen und Lebenslust verspüren. »Der Zuschauer wird viele verschiedene Facetten zu sehen bekommen. Das Stück soll ihn aufwühlen und berühren, aber auch gut unterhalten«, sagt die Regisseurin.
Brüder im Tod
In einem neuen Theaterstück verschmelzen Kurt Cobain und Hamlet zu einer fiktiven Figur, die sich zwischen Verzweiflung und Lebenslust bewegt.
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