Ein Land, zwei Welten, zwei Unis

Acht Jahre nach Kriegsende ist das Leben im Kosovo in zwei Welten organisiert. Das Bildungssystem macht da keine Ausnahme. Studierende machen in Sommerveranstaltungen erste Schritte aufeinander zu Von Elke Hofmann

Der Alltag des albanischen Jurastudenten Agron Krasniqi an der Universität Pristina ist nicht gerade ungewöhnlich. Morgens besucht er zunächst ein oder zwei Veranstaltungen an seiner Fakultät, die jeweils neunzig Minuten dauern. Wenn er will, kann er danach in die Mensa gehen, die etwa zehn Minuten zu Fuß von den Unterrichtsräumen entfernt ist. Dann schaut er vielleicht noch in der Bibliothek vorbei und ärgert sich, dass es nicht die Bücher gibt, die er gerade braucht. Krasniqi ist einer von mehr als 28000 Studierenden, die an den 17 Fakultäten der Universität Pristina studieren. Was Krasniqis Uni trotz des normalen Alltags ungewöhnlich macht: Sie ist Zeichen einer geteilten Gesellschaft - auf dem Campus gibt es keine SerbInnen.

Die Veranstaltungen sind ausschließlich auf Albanisch. »In meiner Abteilung sind fast alle Studenten albanisch«, sagt Krasniqi, »wir haben zwar auch andere ethnische Gruppen, aber das sind nur wenige«. Fast neunzig Prozent der Bevölkerung im Kosovo sind albanischer Abstammung - die Studierenden, die den sieben Prozent der serbischen Bevölkerung angehören, studieren an einer eigenen Universität.

Sie besuchen die Universität Mitrovica, die etwa vierzig Kilometer nördlich von Pristina entfernt in der Stadt Kosovska Mitrovica liegt - einer Stadt mit etwa 100000 EinwohnerInnen, die zum Symbol für das geteilte Kosovo wurde. Die serbischen EinwohnerInnen im Norden der Stadt sind durch einen Fluss von ihren albanischen NachbarInnen getrennt, die im Süden der Stadt leben. »Seit 1990 studieren albanische und serbische Studenten an völlig unterschiedlichen Orten«, sagt Yll Bukshai, der an der Universität Pristina seinen Bachelor in Politikwissenschaften gemacht hat.

Als die Universität Pristina 1970 gegründet wurde, war sie zweisprachig. Mit der Beendigung der Autonomie des Kosovo 1991 spaltete sich die Lehranstalt. Der Direktor der Universität, Radivoje Papovic, entließ beinahe 800 ProfessorInnen und ließ fast nur noch SerbInnen zum Studium zu. Seine Haltung, die Universität Pristina müsse serbisch bleiben, zwang die albanischstämmigen ProfessorInnen und Studierenden, sich in privaten Räumlichkeiten zu treffen, um den Lehrbetrieb dort weiterzuführen. Nach Kriegsende 1999 kehrten die albanischen Lehrkräfte an die Universität zurück. Die serbischen DozentInnen und Studierenden verließen die Uni - und gründeten 2001 in Kosovska Mitrovica die Paralleluniversität Pristina, die heute von zirka 10000 Studierenden besucht wird und 14 serbischsprachige Fakultäten hat.

Als Serbien 2004 ausgerechnet Papovic als neuen Direktor der Universität einsetzte und sich damit dem geltenden Recht der Vereinten Nationen widersetzte, wurde die Universität akademisch isoliert. Das änderte sich erst im März 2007, als die Übergangsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) die Universität in Mitrovica nach der Entlassung von Papovic wieder anerkannte.

Lum Osmani weiß von dieser neuerlichen Akkreditierung nichts: »Geht's nach den Serben, ist die Uni in Mitrovica legal, nach geltendem Recht im Kosovo ist sie es nicht«, sagt er. »Sie haben kein Übereinkommen mit dem Bildungsministerium hier im Kosovo, sie sind vielmehr verbunden mit dem serbischen Bildungsministerium, das hier nicht legal ist, denn das Kosovo ist schließlich nicht Serbien.« Der Zwanzigjährige kommt aus Pristina, hat sich aber zu einem Studium in Griechenland entschlossen. »Wenn jemand hier Geld hat, verlässt er das Land und studiert in Europa oder den USA. Es muss einiges geändert werden an den Unis hier. Das System ist alt, die Gehälter der Dozenten sind sehr niedrig, was sie nicht gerade dazu ermuntert, ihre Lehre zu verbessern.«

Aber nicht nur die Qualität der Lehre ist ein Problem an der albanischen Universität in Pristina. Agron Kasniqi ist es einfach zu eng dort. »Wenn ich Geld hätte, dann würde ich den vielen Studierenden erst mal zu mehr Platz verhelfen«, sagt er. Das sehen andere Studierende genau so. »Könnte ich etwas ändern, dann würde ich den Platz vergrößern, indem neue und moderne Gebäude gebaut werden«, sagt auch Yll Bukshai. Ihm fallen außer dem Platzmangel noch eine Menge anderer Probleme ein, mit denen sich Studierende an der Universität auseinandersetzen müssen: »Das reicht vom Bezahlen der Gebühren bis hin zu einem Mangel an Grundlagenliteratur, nicht genügend PC-Arbeitsplätzen, einer niedrigen Qualität der Lehre, also dass die Dozenten nicht kompetent sind im dem, was sie lehren.«

Es gibt zahlreiche Bemühungen, die Bildungslandschaft im Kosovo zu reformieren. Seit 1999 hat sich viel getan, sowohl die Universität Pristina als auch die Universität Mitrovica bemühen sich, Gelegenheit für multiethnische Begegnungen zu schaffen. Diesen Sommer fand erstmals an der Universität Mitrovica eine Sommeruniversität statt, in der 120 serbische Studierende sich mit achtzig Studierenden aus der ganzen Welt trafen, um unter anderem über Konfliktlösungen nachzudenken.

Auch an der Universität in Pristina gibt es seit mehreren Jahren ein solches Projekt. »Es ist durchaus möglich, albanische und serbische Studenten auf den gleichen Campus zu holen, das zeigt jedes Jahr die Sommeruniversität Pristina, wenn für zwei bis drei Wochen albanische und serbische Studenten zusammenkommen, zusammen lernen und Zeit verbringen«, erzählt Bukshai. Dieses Jahr nahmen unter anderem mehr als zwanzig Studierende aus Serbien an dem Programm teil.

Die Bereitschaft, sich mit den Studierenden der jeweils anderen Ethnie auseinanderzusetzen, ist also durchaus vorhanden, wie Lum Osmani erklärt: »Es kommt auf die Stadt an, aber im Allgemeinen verbringen Serben und Albaner schon Zeit miteinander. Zumindest diejenigen, die sich nicht so sehr an Politik festhalten, die global denken und sich nicht gegenseitig hassen.«