Schein statt Sein

Jean Baudrillard, der das postmoderne Denken prägte wie kaum ein Anderer, ist im März gestorben. Von Christina Grolmuss

Er prägte das Wortpaar Simulakrum (lateinisch: Schein) und Simulation ebenso wie die Begriffe Hyperrealität und Cyberspace. Auf internationaler Ebene gilt er als einflussreicher, aber umstrittener Denker der Postmoderne. Am 6. März ist der französische Soziologe und Medienkritiker Jean Baudrillard in Paris gestorben. Geboren am 20. Juli 1929 in Reims studierte Baudrillard zunächst Germanistik an der Sorbonne in Paris. Zwischen 1958 und 1966 arbeitete er als Deutschlehrer am Lycée und als Übersetzer, unter anderem von Bertolt Brecht und Peter Weiss. Zur gleichen Zeit absolvierte er ein Studium der Philosophie und Soziologie in Paris. Ab 1972 war Baudrillard als Professor für Soziologie an der Universität Nanterre in Paris beschäftigt.

In seiner Promotionsschrift Das System der Dinge von 1968 beschäftigt er sich ausführlich mit der Bedeutung von Alltagsgegenständen. Dabei stellt er fest, dass die uns umgebenden Dinge völlig frei von ihrer Funktion wahrgenommen und nur noch als reine Zeichen mit ideellem Wert konsumiert werden. Zeichen, die beispielsweise die gesellschaftliche Stellung oder eine bestimmte Lebensart symbolisieren. Schon hier deutet Baudrillard an, dass er die Realität als Schein, als Simulakrum, versteht. In seiner Medientheorie geht Baudrillard noch einen Schritt weiter. Er behauptet nicht nur, dass die Welt aus Zeichen besteht, sondern deklariert sämtliche in der Realität stattfindenden Ereignisse als pure Simulation ihrer selbst. Die Wirklichkeit verliere sich im Schein, und dieser Schein werde den Menschen schließlich in Form von Medienbildern als wahrhaftig verkauft. Das ist Baudrillard zufolge so, weil sich die Aussage immer weiter von ihrem Wahrheitsgehalt entfernt und somit zur Simulation des Gesagten wird. Im größeren Rahmen entstehe auf diese Weise eine reine Simulation der Welt, eine Hyperrealität. Und in dieser Hyperrealität würden die KonsumentInnen schließlich manipulierbar. Die Welt um uns herum und auch wir selber, seien somit lediglich virtuell. Realität und Simulation würden so sehr miteinander verschmelzen, dass sie nicht mehr voneinander zu unterscheiden seien. In seinem Hauptwerk Der symbolische Tausch und der Tod von 1976 spricht Baudrillard demnach auch von der »Hölle des Immergleichen«, in der sich sämtliche Differenzen aufheben. Besonders scharfe Kritik erntete Baudrillard für seinen Ausführungen zu den Ereignissen des 11. September. KritikerInnen unterstellten ihm, er habe den Anschlag auf das World Trade Center geleugnet. Was Baudrillard in seinem Aufsatz Der Geist des Terrorismus jedoch untersucht, ist vielmehr die »symbolische« Bedeutung dieser Tat. Er verstand die Geschehnisse als Reaktion auf den »Ausschluss jeder mächtigen Gegenkraft«, die das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse gebrochen hat. Nun sei es so, »als ob das Böse eine unsichtbare Autonomie annehme«. Im Umkehrschluss hieße das also, dass die Dominanz des Guten letztlich für das Aufkeimen des Bösen verantwortlich wäre. Ein Antagonismus, der nach Baudrillard in jedem Einzelnen von uns zu finden ist.