Der schneller schrieb als sein Schatten

René Goscinny erlangte als Comic-Autor weltweite Berühmtheit. Er textete für bekannte Comicserien wie Asterix und Lucky Luke. Fast dreißig Jahre nach seinem Tod ist er immer noch unvergessen. Von Thomas Hemsley

Herauszufinden, wie viele EuropäerInnen mit Goscinnys Werken, vor allem den Asterix-Geschichten, lesen gelernt haben, wäre sicher eine Umfrage wert. Fest steht jedenfalls, dass er zu den meist gelesenen AutorInnen Europas gehört. Das war noch nicht abzusehen, als er am 14. August 1926 als Sohn polnischer Juden in Paris geboren wurde und in Argentinien aufwuchs. Als er im Jahr 1945 in die Vereinigten Staaten ging, um für Walt Disney zu arbeiten - wozu es nicht kam -, war er schon ein Weltbürger im besten Sinne. In den USA lernte er Harvey Kurtzman und weitere spätere AutorInnen und ZeichnerInnen des MAD-Magazin kennen. Kurtzman verschaffte ihm Gelegenheitsarbeiten in der Werbebranche. Außerdem lernte er Maurice de Bévère kennen, später besser bekannt als Lucky-Luke-Erfinder Morris. Im Jahr 1950 kehrte Goscinny nach Europa zurück, wo er sich zunächst als Zeichner an einigen eigenen Comicserien versuchte, zum Beispiel der kurzlebigen Detektivparodie Dick Dicks. 1951 lernte er Albert Uderzo kennen. Ihre ersten gemeinsamen Gehversuche machten sie, mit Uderzo als Zeichner und Goscinny als Szenaristen, unter anderem mit den Geschichten um den Indianer Umpah-Pah. 1955 bat Morris Goscinny, seine schon begonnene Serie Lucky Luke zu schreiben. Mit der Geschichte Die Eisenbahn durch die Prärie - ab diesem Jahr erstmals auch als reguläres Album in Deutschland erhältlich -, begann die fruchtbare Zusammenarbeit, die bis zu Goscinnys Tod bestand. In über dreißig Alben, mehreren Kurzgeschichten und zwei Zeichentrickfilmen parodierten sie historische Ereignisse und Figuren der USA wie den Run auf Oklahoma, den Pony-Express, Jesse James und Billy the Kid. Vor allem porträtierten sie den bekannten Mythos »Wilder Westen« mit seinen Revolverhelden, Saloon-Schlägereien und Ritten in den Sonnenuntergang. Das Jahr 1959 war in zweierlei Hinsicht ein bedeutendes Jahr für Goscinny. Er gründete mit einigen Kollegen das Magazin Pilote, dessen Chefredakteur er bis 1974 war. Unter seiner Leitung war das Magazin nicht nur ein Forum für ihn und seine Freunde, sondern auch eine Talentschmiede, die bedeutenden KünstlerInnen der frankobelgischen Comicszene wie Jean-Marc Reiser und Jean Giraud alias Möbius ihre erste Chance gab. Außerdem schuf er zusammen mit Uderzo Asterix. Die Geschichten um den Helden Asterix, seinen Freund Obelix und ihr kleines gallisches Dorf wurden schnell zu einem Mythos, einem französischen Trivialepos und einem unglaublichen internationalen Erfolg. Die Höhen der Auflagen betrugen jeweils mehrere Millionen mit Übersetzungen in rund achtzig Sprachen, darunter deutsche Mundarten und Latein. Mehrere Hefte wurden als Zeichentrick- oder Spielfilme adaptiert. Aus Goscinnys Feder stammen auch die etwas weniger erfolgreichen Isnogud-Geschichten, gezeichnet von Jean Tabary, über den Großwesir, der Kalif anstelle des Kalifen werden will. Außerdem verfasste er etwa 160 Kurzgeschichten um den kleinen Nick und seine KlassenkameradIn-nen, die auf den Kindheitserinnerungen des Illustrators Jean-Jacques Sempé beruhen. Als Goscinny am 5. November 1977 bei einem Belastungstest an einem Herzinfarkt starb, hinterließ er ein Gesamtwerk, das Tausende von Seiten füllte und nach wie vor Millionen LeserInnen aller Altersstufen begeistert.