Startschuss zur Revolution

Bildergeschichten XVI:Wie man friedlich demonstrierende ArbeiterInnen nicht behandeln sollte. Von Beate Schulz

Die sterbenden Menschen im Bild rechts gehören zu den rund tausend ArbeiterInnen, die am 22. Januar 1905 (9. Januar nach julianischem Kalender) vor dem Winterpalais von zaristischen Truppen erschossen wurden. Der Tag, der als Initialzündung der Revolution von 1905 gilt, ging als Petersburger Blutsonntag in die Geschichte ein. Mehr als 140000 friedliche DemonstrantInnen zogen zur Petersburger Residenz von Zar Nikolaus II. Sie trugen Ikonen und Bilder des Herrschers und sangen nationalistische und religiöse Lieder. Angeführt wurden sie von Pater Gregorij Gapon, der dem Zaren eine Petition überreichen wollte, die unter anderem bessere Arbeitsbedingungen, Presse-, Versammlungs-, Meinungs- und Religionsfreiheit, eine demokratische Volksvertretung und das Ende des Krieges mit Japan forderte.

Dieser Krieg, den Russland verlieren sollte, hatte zu Versorgungsengpässen geführt, die zusammen mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen in den russischen Fabriken zu massenhaften Streiks führten. Der umstrittene Pater Gapon war dabei eine Schlüsselfigur. Er war als Prediger in den ArbeiterInnenvierteln von Petersburg populär geworden und hatte die Versammlung der russischen FabrikarbeiterInnen gegründet. Von zahlreichen ArbeiterInnen verehrt, wurde ihm aber auch vorgeworfen, als Spitzel für die zaristische Geheimpolizei Okhranka zu arbeiten. Nach dem Blutsonntag wechselte er im Exil in das sozialistisch-revolutionäre Lager über. Als er jedoch im Zuge der Verkündung des Oktobermanifestes zurückkehrte, wurde er erneut als »agent provocateur« verdächtigt und hingerichtet.

Das Oktobermanifest - Zugeständnisse von Nikolaus II. an die ArbeiterInnen - resultierte aus den Streiks und Aufständen nach den Erschiessungen des Blutsonntags. Nach Monaten des Ausnahmezustands in der Hauptstadt sicherte Nikolaus II. der Bevölkerung Grundrechte und eine gesetzgebende Volksvertretung (Duma) auf der Grundlage des allgemeinen Wahlrechts zu. Die Duma war jedoch de facto machtlos. Wichtige Entscheidungen wie zum Beispiel militärische Belange oder der Hofetat wurden nicht behandelt. Zudem konnte das Parlament jederzeit vom Zaren, der zudem ein uneingeschränktes Vetorecht besaß, aufgelöst werden. Da die ArbeiterInnen sich aber durch die Ereignisse von 1905 radikalisierten, wurden hier schon die Weichen für die Oktoberrevolution 1917 gestellt.