Pille für arme Frauen nicht kostenlos

Sozialhilfebezieherinnen sind seit Januar 2004 durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz mit zwei gegensätzlichen Bestimmungen konfrontiert. Der Zugang zu Verhütungsmitteln wird eingeschränkt. Von Gisela Notz

Während die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Zuge von Hartz IV die Öffentlichkeit einen Großteil des letzten Jahres beschäftigte, ist eine weitere Einschränkung sozialer Leistungen fast unbemerkt geblieben. Bereits zum 1. Januar 2004 ist das Gesundheitsmodernisierungsgesetz in Kraft getreten. Danach erhalten SozialhilfeempfängerInnen nur noch die Leistungen, die gesetzliche Krankenkassen bezahlen. Damit wären Verhütungsmittel ausgeschlossen. Das Bundessozialhilfegesetz sieht allerdings grundsätzlich eine Hilfe zur Familienplanung für BezieherInnen von Sozialhilfe vor. Viele Kommunen argumentieren nun, das Gesundheitsmodernisierungsgesetz stehe über der Sozialgesetzgebung, und verweigern Frauen, die älter als zwanzig Jahre sind, die Übernahme der Kosten für Verhütungsmittel. Städte wie Dortmund, Düsseldorf, Duisburg und Oberhausen haben die Unterstützung bereits eingestellt, andere werden nachziehen.

Die Auslegung der Änderungen ist jedoch strittig. Bochum und Gelsenkirchen etwa übernehmen die Kosten weiter, aber ohne verbindliche Rechtsgrundlage und damit auch ohne Rechtsanspruch für die betroffenen Frauen. Einige Städte haben verwaltungsinterne Lösungen gefunden, um die Frauen so lange wie möglich zu unterstützen. Wenn Frauen in der »falschen« Stadt wohnen, kann die Verhütung von Schwangerschaften allerdings an mangelnden finanziellen Mitteln scheitern.

Der Verein für öffentliche und private Fürsorge hat sich mit einem Gutachten vom 1. März 2004 auf den Standpunkt gestellt, dass die Leistungen der Sozialhilfe »bezüglich ihres Umfangs bzw. Verpflichtungsgrads mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung identisch und abweichende Regelungen nicht mehr möglich und zulässig sind«. Der Verein interpretiert die neuen Bestimmungen damit zu Ungunsten der Betroffenen. Mitarbeiterinnen in Schwangerenberatungsstellen, die einen Großteil der Rezeptausschreibungen übernehmen, befürchten und machen erste Erfahrungen, dass viele Frauen nicht mehr verhüten (können), wenn die Kosten nicht übernommen werden. Im Sozialhilferegelsatz sind keine Verhütungsmittel enthalten.

Mit dieser gesetzlichen Regelung wird der Zugang zu Verhütungsmitteln für ärmere Frauen massiv eingeschränkt, denn schließlich haben sie auch noch die Praxisgebühren und die Zuzahlung zu anderen Medikamenten zu tragen. ExpertInnen weisen darauf hin, dass durch die Streichung der Kostenübernahme für Verhütungsmittel das Recht auf die eigene Entscheidung darüber beschnitten wird, ob und zu welchem Zeitpunkt Frauen ein Kind wollen. Mit dieser Regelung wird auf jeden Fall gegen das Menschenrecht auf Familienplanung verstoßen.

Deutschland hat auf der Internationalen Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung 1994 in Kairo zugesagt, sich für den allgemeinen Zugang zu sicheren, wirksamen und erschwinglichen Familienplanungsmethoden einzusetzen. Nach dem Aktionsplan der Staatengemeinschaft gehört das zum Recht auf »sexuelle und reproduktive Gesundheit«.

Familien- und Arbeitslosenverbände - allen voran der Bundesverband Pro Familia - fordern nun die im Bundestag vertretenen Parteien in einem offenen Brief auf, die Kostenübernahme von Leistungen zur Familienplanung für Sozialhilfebezieherinnen bundesweit neu zu regeln, sodass Verhütungsmittel an Bezieherinnen von Arbeitslosengeld II und von Sozialhilfe kostenlos abgegeben werden können. Den betroffenen Frauen empfehlen sie, gegen erhaltene Bescheide Widerspruch einzulegen.

Der Artikel erschien zuerst in SoZ - Sozialistische Zeitung vom Dezember 2004, www-soz-plus.de.